Das Judentum im christlichen Mittelalter


Die Geschichte des deutschen Judentums von Konstantin dem Großen bis heute
II. Das Judentum im christlichen Mittelalter und der beginnenden Neuzeit.



Eine äußerst wichtige Stelle im Römerbrief des Apostels Paulus brachte die beherrschende Macht im Mittelalter: die Kirche dazu, die Juden als eine besondere Gruppe mit einer anderen als der christlichen Religion inmitten der Christenheit zu dulden: diese Stelle war der Abschnitt Römer 11, 25ff. Hier spricht Paulus prophetisch: Bei der Wiederkunft Jesu wird sich das ganze Volk Israel seinem Messias zuwenden. Die Kirche erwartete dementsprechend eine Bekehrung Israels am Ende der Zeit und ließ deshalb die Juden als Bürger zweiter Klasse unter dem Schutz der Kaiser und Päpste mitten unter den Christen leben.

Die Kirche war aber eine sakrale Gemeinschaft, alle Christen waren eine geistig/geistliche Einheit durch Teilhabe an den gleichen Sakramenten. Die Juden hatten daran keinen Anteil, sie waren also religiös ausgeschlossen, aber die Kirche hatte aufgrund der Bindung an die Bibel immer eine mehr oder weniger deutliche Erinnerung daran, dass sie ihren Ursprung im Volke Israel hatte.

Nun zur historischen Ausgangslage: Nach zwei Dekreten von Kaiser Konstantin gab es jüdische Gemeinden schon kurz nach 300 n. Chr. in Trier und in Köln. Das Judentum gibt es also schon lange in unserem Land.
Wichtig wurde für das Verhältnis zwischen Christen und Juden im Bereich des mittleren und des westlichen Europa das Judenrecht des Codex Theodosianus von 438, verfasst von dem oströmischen Kaiser Theodosius II., in dem das spätrömische Kaiserrecht zusammengefasst wurde. Für die Ausgestaltung des Judenrechtes waren auch die Judengesetzgebungen der kirchlichen Synoden von circa 300 an. Wichtig, auch das Recht der westgotischen Könige das bis 702 erlassen wurde. Wichtig wurden auch die Entscheidungen des Papstes Gregors des Grossen, der in der Zeit von 590 bis 604 Papst war. Er gewährte den Juden volle Religionsfreiheit. Zwangstaufen werden von ihm abgelehnt. Juden dürfen allerdings nach ihm keine christlichen Sklaven halten. Die karolingischen Kaiser ab Karl dem Großen hatten grundsätzlich eine tolerante Einstellung gegenüber den Juden, ebenso die Ottonen, die vom Beginn des 10. Jahrhunderts an das entstehende ostfränkische, deutsche Reich regierten. Judentum und Christentum lebten bis Ende des 11. Jahrhunderts, also ins hohe Mittelalter hinein, ziemlich friedlich nebeneinander. Das Judentum hatte im hohen Mittelalter seine wichtigsten Zentren in den rheinischen Städten: Speyer, Worms, Mainz und Köln und in Orten entlang der Donau. Weltberühmt ist der jüdische Friedhof zu Worms, der in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom damaligen Bürgermeister vor der Zerstörung durch die Nazis bewahrt blieb.

Die endgültige kanonische (= römisch-katholische) Ausprägung fand das Judenrecht im Decreten von 1140 bis 1234.Im letzten Decret, dem "Liber extra" wurden die Bestimmungen des 4. Laterankonzils aufgenommen, die eine Beschränkung der Zinshöhe festlegten ,dazu eine Kennzeichnung der Juden, und ein Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter durch Juden .

Die Kaiserliche Judengesetzgebung stimmte mit dem kanonischen = kirchlichen Recht durchaus nicht immer überein. Sie war nämlich vor allem am Judenschutz interessiert, da die Juden eine starke Stellung im Handel hatten, und dieser Handel im Interesse der Kaiser gewährleistet werden musste. Der hohenstaufische Kaiser Friedrich II. begründete 1236 die sog. Kammerknechtschaft der Juden, d.h. die Juden wurden unter kaiserlichen Schutz gestellt, mussten ihm dafür aber hohe Steuern zahlen. Ab 1356 bekamen die Kurfürsten, hin und wieder auch andere Landesherren und auch Städte das Judenregal, also das Recht, für die Juden Gesetze zu erlassen. Daraus erwuchs für die Juden eine große Unsicherheit im Reich. Die Vertreibungen der Juden im großen Stil während des 15. und 16. Jahrhundert hatten in dieser zerklüfteten Judengesetzgebung ihre Ursache.

Seit dem 4. Laterankonzil von 1215 wiederholten sich Ritualmord-Beschuldigungen: Juden töten christliche Knaben, um mit deren Blut die Mazzen zum Passah-Fest backen zu können, und die Beschuldigung des Hostienfrevels: Juden durchbohren mit einer Nadel eine geweihte Hostie, um Jesus wieder zu kreuzigen. Beide Beschuldigungen waren natürlich immer erfunden, lösten aber schlimme Pogrome aus (Denken Sie an die Geschichte vom "Werner zu Bacharach", für den man später eine Kapelle baute, die heute als Ruine noch in Bacharach zu besichtigen ist). Manchmal erwies sich das kanonische Recht dann als Schutz für die Juden. Einzelnen jüdischen Gemeinden gelang es nämlich, eine päpstliche Bulle zu erwirken, die den Rechtsstatus einer jüdischen Gemeinde gegenüber dem weltlichen Herrscher festschrieb. Diese Beschuldigungen wurden nämlich von den weltlichen Herrschern nicht bekämpft, sondern immer wieder dazu benutzt, durch Gewähren lassen des Pöbels und anschließende Judenvertreibungen sich von den Schulden, die sie bei den Juden hatten zu befreien.

Wichtig zu erwähnen sind auch die furchtbaren Pogrome im Zuge der Kreuzzüge ab 1096 und die grausame Verfolgung jüdischer Gemeinden in der Zeit der Pest, die das Abendland in den Jahren 1347 bis 1349 heimsuchte. Bei dieser Katastrophe suchte man wieder die Schuldigen bei den jüdischen Gemeinden mit dem Vorwurf der Brunnenvergiftung. Von den Gemeinden wich ein erheblicher Teil nach Osten aus und fand in Polen eine neue Heimat, z.B. aus folgenden Städten: Strassburg, Freiburg, Trier, Speyer, Mainz, Köln, Nürnberg, und aus ganzen Gebieten wie z.B. der Pfalz. Die Folge der Vertreibungen und der Existenz im Ghetto war, dass das deutsche Judentum verarmte. Die große Zeit des mittelalterlichen Judentums ging also in diesem und dem folgenden 16. Jahrhundert zu Ende. Die Juden wichen nun in die aufstrebenden ländlichen Gebiete des alten Reichsgebietes aus bzw. in die neu zu erschließenden ostelbischen Gebiete aber auch nach Italien. Die Reformation brachte keine Verbesserung der Lage der Juden, im Gegenteil: Martin Luthers Antisemitismus hatte zur Folge, dass in protestantischen Gebieten vielfach der Bau von Synagogen verboten wurde. In den geistlichen katholischen Territorialstaaten schützten die Fürstbischöfe dagegen die Juden und ihre Religionsausübung, weil sie nach wie vor an den Steuern der Juden interessiert waren. Abgesehen von der erzwungenen Weiterexistenz im städtischen Ghetto stabilisierte sich etwa ab 1650 die Lage der Juden in Deutschland wieder. Die Landesherren erließen Judenordnungen, in denen den Juden ein Bleiberecht garantiert wurde. Vor allem Brandenburg - Preussen wurde von der Regierungszeit des Grossen Kurfürsten an zu einer Zufluchtsstätte für Juden, insbesondere für die Juden aus Polen, die das Massaker des Kosacken Chmielnicki überlebt hatten Der ansonsten tolerante Friedrich II., der "Alte Fritz", verfolgte dagegen wieder eine bedrückende Judenpolitik und verursachte dadurch eine Verarmung der Juden in den preussischen Gebieten..

Das Judentum differenzierte sich wirtschaftlich nun ziemlich stark Es gab eine kleine reiche kaufmännisch tätige Oberschicht, z.B. in Hamburg, zu dieser reichen Schicht gehörten auch die sog. " Hofjuden", die als Finanzverwalter an den Fürstenhöfen tätig waren, dann kam eine breite Mittelschicht, die sog. "Schutzjuden", die in den Territorien ihr Auskommen als Pfand - und Geldverleiher, Vieh-, Korn - und Trödelhändler fanden. Diese Mittelschicht bildete wohl auch lange Zeit das Gegenüber zur christlichen Bevölkerung hier im Westerwald. Die Unterschicht, die sog. "Betteljuden", umfassten im 18. Jahrhundert wahrscheinlich bis zu einem Drittel der gesamten Judenschaft. Kleinere Pogrome im Anschluss an die christlichen Karfreitagsgottesdienste gab es immer noch, sowohl in katholischen wie auch in lutherischen Gebieten. Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich aber die alte Judengesetzgebung, die auf Isolierung der Juden von der christlichen Gesellschaft gesetzt hatte, überlebt. Jetzt wurde von aufgeklärten Beamten die Integration der Juden in die Gesellschaft gefordert. Aber die Vertreter der alten Regime, also Kaiser, Könige, Fürsten, Herzöge, Grafen, Bischöfe, Städte waren aus eigener Einsicht dazu nicht in der Lage. Dazu bedurfte es des Ausbruches einer Revolution wie der französischen im Jahr 1789.




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(Autor: Pfarrer i. R. Hans-Christoph Gensichen)