Beten, statt zu zweifeln




Ich hatte einen langen Fußmarsch vor mir vom Bahnhof nach Hause, und es sah nach Regen aus. Schon der ganze Tag war regnerisch gewesen, und nun ballten sich wieder bedrohlich dunkle Wolken am Himmel. Da habe ich meine Hände gefaltet und gesagt: „Herr, lass mich trocken nach Haus kommen!“

Selbstverständlich weiß ich, dass Wettervorgänge natürliche Ursachen haben – Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windrichtung – und dass sie Naturgesetzen unterliegen. Trotzdem habe ich gebetet. Denn was bedeutet: „Ich weiß...“? Dass ich es in der Schule so gelernt habe, dass ich es in Büchern so gelesen habe, dass es mir so vernünftig und logisch erscheint – mehr nicht. Und es gibt keinen Beweis dafür, dass die Welt tatsächlich so ist, wie wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen, und wie wir sie uns, mit unserer Vernunft und Logik, denken.

Ich habe also Gott um gutes Wetter gebeten – dabei bin ich gar nicht sicher, dass Gott existiert. Seine Existenz lässt sich nicht beweisen, und es gibt viele vernünftige Argumente gegen die Existenz Gottes. Trotzdem habe ich gebetet, denn: Muss man von der Existenz Gottes überzeugt sein, um zu beten? Ich glaube nicht. Man muss Gott lediglich für möglich halten. Dagegen aber kann die Vernunft nichts einwenden, denn so wenig sich die Existenz Gottes beweisen lässt, so wenig lässt sich seine Nichtexistenz beweisen.

Im Gebet setze ich Gott einfach voraus: Ich verhalte mich so, als ob es Gott gäbe. Dieses Voraussetzen Gottes lässt sich auf andere Lebensbereiche übertragen: Ich kann einfach so leben, als ob Gott existieren würde: seine Gebote halten, die Sünde meiden, meinem Nächsten beistehen. Ich kann Gott mein Innerstes anvertrauen, ihm meinen Unglauben beichten, ihn bitten, ihm danken.

Ich muss mich nicht mit der Frage quälen, ob Gott „wirklich“ existiert – ich kann einfach so mit ihm reden, als ob es ihn gäbe und er mich hören würde – so, wie ein Kind mit seiner Puppe redet, als ob die Puppe verstehen könnte. Aber ist das Glauben? Glaubt das Kind, dass seine Puppe es versteht? Ja - jedenfalls dann, wenn es mit ihr spricht. Im nächsten Moment, wenn es gestört und aus seinem Spiel herausgerissen wird, vielleicht nicht mehr. Aber geht es uns mit dem Glauben an Gott denn anders? Werden wir nicht auch dauerd herausgerissen aus dem Glauben durch die Forderungen der "Realität", auf die wir mit Vernunft und Logik reagieren müssen, wo wir nach natürlichen Ursachen fragen müssen (etwa bei einem technischen Problem), wo wir ganz und gar selbst verantwortlich sind – ganz so, als ob es Gott nicht gäbe?

Entscheidend ist, dass wir immer wieder zum Glauben zurückfinden – weil wir zurückfinden wollen. Weil wir Sehnsucht haben nach Gott. Diese Sehnsucht kann man psychologisch erklären – dann erscheint sie als eine Art Defekt der ansonsten vernünftigen Persönlichkeit. Man kann diese Sehnsucht aber auch für eine Wirkung des Heiligen Geistes halten. Dann ist sie kein Defekt, sondern eine Gnade: die Gnade Gottes. Wenn ich also diese Sehnsucht in mir spüre und die Existenz des Heiligen Geistes grundsätzlich für möglich halte (wogegen die Vernunft nichts einwenden kann, denn es gibt keinen Beweis seiner Nichtexistenz), dann kann ich wählen zwischen „einen Defekt haben“ und „Gottes Gnade teilhaftig sein“. Und auch wenn meine Vernunft mir sagt, dass es sich höchstwahrscheinlich um einen Defekt handelt, habe ich doch die Freiheit, zu glauben, dass es nicht so ist. Wer hat schon gern einen Defekt?

Anscheinend muss ich drei Bedingungen erfüllen, um zum Glauben zu kommen:

Erstens muss ich die Existenz Gottes (einschließlich des Heiligen Geistes) grundsätzlich für möglich halten – was, wie gesagt, der Vernunft nicht widersprich. Wenn man nicht beweisen kann, dass etwas nicht existiert, dann ist es vernünftig, seine Existenz zumindest für möglich zu halten.

Zweitens muss ich glauben wollen, muss mich nach dem Glauben und nach Gott sehnen und muss bereit sein, Gottes Gebote einzuhalten, Jesus als meinen Herrn und Erlöser anzuerkennen und ihm nachzufolgen.

Und drittens muss ich demütig genug sein, um anzuerkennnen, dass das alles nicht aus mir selbst kommt, dass das keine Leistung von mir ist, sondern Wirkung des Heiligen Geistes, also der Gnade Gottes. Dann habe ich bereits eine Erfahrung mit Gott gemacht – denn ich habe erfahren, dass er etwas in mir bewirkt hat. Und wie kann einer, der eine Erfahrung mit Gott gemacht hat, nicht glauben?

Ich bin trocken nach Haus gekommen.


(Autor: Torsten Hesse)


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