Glauben und Wissen




Spricht Jesus zu ihm:
Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Joh. 20, 29

Häufig wird gesagt: Die Christen glauben an Gott, das Evangelium und die biblischen Wunder, obwohl das alles unserer Vernunft höchst unwahrscheinlich (und eben deshalb wunderbar) vorkommt und überdies nicht beweisbar ist. Die Naturwissenschaften dagegen, so wird behauptet, verfügten über echtes, nachprüfbares Wissen, und ihre Theorien seien beweisbar.

Ganz so einfach ist das aber nicht, zumindest was die Naturwissenschaften betrifft. Wir können nämlich, genau genommen, nicht wissen, ob die Welt um uns herum überhaupt existiert. Was wir als Bilder, Töne, Gerüche, Empfindungen wahrnehmen (für wahr nehmen!) entsteht in unserem Gehirn -- zumindest sagen das die Hirnforscher. Wir glauben, dass diese Wahrnehmungen durch Ursachen aus der Außenwelt (Lichtwellen, Schallwellen usw.) hervorgerufen werden -- aber beweisen lässt sich das nicht. Rein theoretisch könnte ich auch ein Gehirn in einem Gefäß mit einer Nährlösung sein, das von einem Supercomputer ständig mit all den Daten versorgt wird, aus denen es seine "Welt" erschafft.

Da sich die Existenz der "objektiven" Welt außerhalb unseres Bewusstseins nicht beweisen lässt, lassen sich auch keine Naturgesetze beweisen, die diese Welt beschreiben. Es ist immer noch genau so, wie Jesus zu Thomas gesagt hat: Wir glauben, was wir sehen, und auch alle unsere modernen Messinstrumente haben im Grunde die Funktion, etwas, das normalerweise unsichtbar ist, sichbar zu machen, damit wir es glauben können.

Aber letztendlich glauben wir alle, dass die Welt um uns herum ungefähr so existiert, wie wir sie mit unseren Sinnen erleben -- vor allem deshalb, weil wir über das, was wir sehen, hören und empfinden, miteinander reden, unsere Wahrnehmungen also vergleichen können. Erst dadurch entsteht das, was wir "Objektivität" nennen. Doch auch wenn man diese Objektivität der Welt als gegeben voraussetzt, lassen sich Naturgesetze nicht beweisen: Um ein Gesetz zu beweisen, müsste man entweder zeigen, dass es universell, also immer und überall gilt -- aber kein Mensch kann immer und überall sein, um das nachzuprüfen. Oder man müsste das Gesetz mit Hilfe der Logik beweisen ("Es muss wahr sein, weil es rein logisch nicht anders sein kann") -- dazu aber müsste man zunächst zeigen, dass die Logik selbst absolut wahr und universell gültig ist. Aber gerade aus der Evolutionstheorie (genauer gesagt aus der sogenannten Evolutionären Erkenntnistheorie, EET, die die Entwicklung der menschlichen Vernunft beschreibt) folgt, dass auch die Denkgesetze der Logik nicht als absolute Wahrheiten gelten können. Denn wenn die Vernunft im Laufe der Evolution durch die Anpassung des Menschen an seine (natürliche und soziale) Umwelt entanden ist (wie die EET behauptet), dann lässt sich nicht ausschließen, dass unter anderen Umweltbedingungen eine ganz andere Art von Vernunft mit anderen Denkstrukturen entstanden wäre.

All unsere Wissenschaft beruht also auch "nur" auf Glauben -- Glauben an die Existenz der objektiven Welt und an die Gültigkeit der Gesetze der Logik. Wie kommt es dann aber, dass so vielen Menschen heutzutage die naturwissenschaftlichen Theorien vernünftiger und glaubwürdiger erscheinen als die Berichte der Bibel?

Einmal deshalb, weil die Wissenschaftler faszinierende Belege vorweisen können: für die Evolution z.B. die Fossilien ausgestorbener Pflanzen und Meerestiere, die Saurierskelette und die Überreste von Urmenschen. Hier gilt wieder der Satz Jesu: Wir glauben, was wir sehen. Andererseits deshalb, weil die moderne Technik, in der die von der Wissenschaft formulierten Naturgesetze praktisch angewendet werden, durch ihr Funktionieren diese Gesetze eindrucksvoll bestätigt. Und diese Technik sehen wir nicht nur -- wir benutzen sie tagtäglich, sind von ihr abhängig, vertrauen auf sie, wie die Menschen früher auf Gott vertraut haben.

Das Verhältnis des modernen Menschen zur Naturwissenschaft (auch zur Medizin) und zur Technik ist durch zwei entgegengesetzte Gefühle gekennzeichnet: einerseits durch den Stolz auf die Leistungen der menschlichen Vernunft (der schöpferische Mensch fühlt sich selbst wie ein Gott und glaubt, das Himmelreich schon auf Erden verwirklichen zu können) und andererseits durch das Gefühl der totalen Abhängigkeit von diesen Leistungen. Friedrich Schleiermacher hat einmal geschrieben, Religion sei "das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" -- genau dieses Gefühl hat der moderne Mensch zu Naturwissenschaft und Technik. Deshalb wird ihm die Vernunft zum Gott.

Derjenige jedoch, der glauben will an den Gott der Bibel, den Schöpfer Himmels und der Erden, und Christus Jesus nachfolgen will, muss sich entscheiden. Er muss sich entscheiden, trotzdem, und jeden Tag wieder neu, an die Botschaft des Evangeliums zu glauben -- obwohl auch seiner Vernunft die wissenschaftlichen Theorien oft plausibler erscheinen mögen. Er muss nicht entscheiden, ob diese Theorien wahr oder falsch sind. Das kann er getrost dem Streit der Gelehrten überlassen. Es genügt ihm, zu wissen, dass diese Theorien auch nur auf Glauben beruhen. Er hat also die Freiheit, sich dafür zu entscheiden, diese Theorien (und die eigene, menschliche, also auch sündige Vernunft) nicht über das Wort Gottes zu stellen.

Auch die allgemeinsten und abstraktesten wissenschaftlichen Theorien sind nichts weiter als logische Schlussfolgerungen aus dem, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen – so, wie Thomas´ Ausruf „Mein Herr und mein Gott!“ die logische Schlussfolgerung war von dem, was seine Augen sahen: Jesu Wundmale. Aber: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!



Allein auf Gottes Wort will ich
mein Grund und Glauben bauen.
Das soll mein Schatz sein ewiglich,
dem ich allein will trauen.
Auch menschlich Weisheit will ich nicht
dem göttlich Wort vergleichen,
was Gottes Wort klar spricht und richt',
dem soll doch alles weichen.

(Johann Walter, 1566)


(Autor: Torsten Hesse)


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