Totensonntag


Der Psalm 90 nennt Tod und Vergänglichkeit ohne Umschweife beim Namen, wie es auch in einem mittelalterlichen Liedvers „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ heißt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille, denn in der Umkehrung dieses Verses heißt es „Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen“. Beide Aspekte kommen am Totensonntag in den Gottesdiensten zum Tragen. Und dass der Tod endgültig nicht das letzte Wort hat, geht aus Kapitel 21 des Buches der Offenbarung hervor. Schauen wir die Verse 1 bis 7 an:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht zu mir: Schreibe; denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will den Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.

Offenbarung 21,1-7 (Luther 1912)

Vor unseren Augen entfaltet sich eine Sicht, die fast zu schön ist, um wahr zu sein. Kein Leid und kein Schmerz mehr! Hier denke ich an die Todesanzeige für unseren lieben Verstorbenen: Kommt es von ungefähr, dass die Familie das Wort gewählt hat „Ich hab das Leben überwunden, bin nun befreit von Schmerz und Pein“? Leid und Schmerz gehören zu unserer Lebenswirklichkeit, aber einer Lebenswirklichkeit, die vorläufigen Charakter hat und von dem Eigentlichen abgelöst werden wird („denn das Erste ist vergangen!“). Tränen gehören zu unserer Lebenswirklichkeit, aber sie werden von unseren Augen abgewischt werden! Auch die gesellschaftliche Wirklichkeit wird eine andere sein: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen. Das griechische Wort für Hütte heißt „Skene“ und ist der Ursprung unseres Wortes „Szene“. Wir kennen dieses Wort nicht nur vom Theater her, sondern wir kennen es auch als „Drogenszene“, „Verbrecherszene“, „Terrorszene“. Diese alle werden von der „Szene Gottes“ abgelöst, in der es auch keinen Tod mehr geben wird – kaum vorstellbar.

Und das alles wird uns vor Augen gestellt als eine neue Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, die, wie ich sagte, fast zu schön ist, um wahr zu sein, und uns eher wie die Projektion menschlicher Sehnsucht vorkommt. Ja, diese Sehnsucht ist da, und jetzt kommt es: das, was der Apostel Johannes auf der Insel Patmos zu sehen und zu hören bekam, ist Gottes Antwort auf diese Sehnsucht. Sie ist in uns hineingelegt und ist auf Erfüllung angelegt. Es ist etwa wie bei Zugvögeln, die darauf angelegt sind, vom kalten Norden in den warmen Süden zu fliegen, um sich am Ende ihrer Reise tatsächlich im warmen Süden und nicht irgendwo im Nichts wiederzufinden.

Doch noch stehen wir im Spannungsfeld zwischen der heutigen und der künftigen Wirklichkeit. Aber wir sind unterwegs, wie auch die Zugvögel unterwegs sein müssen, um in den Süden zu gelangen. Doch wie in der Dunkelheit unserer Welt und Zeit den Weg und das Ziel finden? Es ist noch gar nicht so lange her, dass es bei nächtlicher Fahrt übers Meer der Polarstern war, der den Seeleuten den Kurs wies. Auch in der Bibel gibt es einen Polarstern – so wurde von dem bekannten englischen Prediger Spurgeon ein Wort aus dem Johannesevangelium genannt:

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Johannes 3, 16 (Luther 1912)

Diesem Wort dürfen wir Vertrauen schenken, denn es ist durch den Kreuzestod und die Auferstehung unseres Herrn Jesus besiegelt.


(Autor: Gerhard Nisslmueller)