Die Menschen kehren nicht um


Leserbrief zum Tsunami in Südostasien am 26. Dezember 2004

Als Ihr Kommentator zwei Tage nach dem verheerenden Seebeben von einer „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ sprach und die schrecklichen Bilder der Verwüstung und des Todes mit einer „Illustration der Apokalypse“ verglich, konnte niemand die tatsächliche Dimension der Heimsuchung erahnen, wie sie von Tag zu Tag immer mehr sichtbar wird. Die Sachschäden, die in kürzester Zeit entstanden sind, sprengen jedes Vorstellungsvermögen; das Leid, das über unzählige Menschen gekommen ist, lässt sich nicht in Worte fassen.

Die Folgen der Riesenwelle haben eine beispiellose Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft ausgelöst. So wird viel Not gelindert, doch eine Rückkehr zur Normalität wird, falls überhaupt möglich, lange Zeit in Anspruch nehmen.

Wie lange aber wird es bis zur Rückkehr der Weltgemeinschaft zu ihrer regulären Tagesordnung dauern, zumal ja die sonstigen tagtäglichen Schreckensnachrichten nach wie vor die Menschen in ihren Bann ziehen?
Ein Merkmal der oben angeführten Apokalypse (Buch der Offenbarung) ist die Tatsache, dass die Menschen auch angesichts der über sie hereinbrechenden Heimsuchungen unbeirrt an ihrer Tagesordnung festhalten („sie taten keine Buße“ bzw. „sie kehrten nicht um“). Es wäre fatal, wenn mangelnde Buß- bzw. Umkehrbereitschaft ein Anzeichen dafür wäre, dass es schon „so weit“ ist.

Nach Lukas 21,25 (Ratlosigkeit der Völker beim Brausen des Meeres und seines Wogenschwalls) stehen die Zeichen auf Sturm; möge es doch noch einmal zu einer allgemeinen Sinnesänderung (andere Bedeutung des mit „Buße“ übersetzten griechischen Wortes Metanoia) nach dem Beispiel der Stadt Ninive kommen!

(Wiesbadener Tagblatt, 06.01.2005)


(Autor: Gerhard Nisslmueller)