Wir sind der Brief



Während meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich bemerkt, dass man immer mit denen in einen Topf geworfen wird, die sich gänzlich daneben benehmen: Betrunkene Soldaten, die freitags nach Hause und sonntags wieder in die Kaserne zurückfuhren und sich in den Zügen sehr aggressiv verhielten, ruinierten den Ruf der meisten Soldaten, die ganz vernünftig gewesen sind. Es hat niemals geheißen: "Dies war jener Soldat, jene Einheit, jene Kaserne, jene Teilstreitkraft!". Immer war es "Die Bundeswehr!" - Diese Erfahrung macht jede Berufsgruppe und jede andere Gemeinschaft, in der Menschen zusammen sind.

So ist es auch im Christenleben: Es hängt entscheidend von dem Lebenswandel eines jeden Einzelnen von uns ab, wie das Christentum als solches wahrgenommen wird. Sind wir freundlich oder ruppig, ehrlich oder verlogen, verlässlich oder treulos, hilfsbereit oder ignorant? Genauso, wie ein Trunkenbold unglaubwürdig ist, der von Abstinenz spricht, genauso sind Christen unglaubwürdig, wenn sie von Nächstenliebe sprechen, aber lieblos handeln.

Wir sind der Brief, in dem die Menschen lesen, und deshalb hängt es entscheidend von jedem Einzelnen von uns ab, wie das Christentum wahrgenommen wird. Ein Versicherugnsmakler, der längst schon verrentet war, kam aufgrund seiner langen Berufserfahrung zum Ergebnis, dass das Christentum nicht wahr sein könne, weil er Christen - selbst wenn sie regelmässig in die Kirche gingen - als genauso habgierig, unfreundlich und egoistisch kennen gelernt hatte, wie alle anderen Menschen. Wenn es keinen Unterschied gibt zwischen uns und der Welt, dann sieht die Welt auch keinen Grund, sich zu Christus zu bekehren. Wenn die Menschen aber bemerken, dass sie von uns Christen ernst genommen werden, wenn unsere Liebe echt und ungeheuchelt ist und die Nöte der Anderen sehen, dann haben wir schon die entscheidenden Voraussetzungen.

Dabei geht es ja nicht um große Heldentaten: Solche haben eh Seltenheitswert. Es geht um unser Erscheinen im Alltag. Freundlichkeit, die sich permanent bemerkbar macht, Hilfsbereitschaft, die nicht nur eine Eintagsfliege ist, bedeuten mehr als große Worte.

In einem Ein-Euro-Job an einem Schulzentrum habe ich es selbst bemerkt: Die Kinder wussten, dass ich wiedergeborener Christ bin. Für sie war es zudem gut zu erfahren, dass ich sie ernst nahm und ihnen zuhörte, wenn sie über Enttäuschungen oder Ängste mit mir reden konnten und ich mit ihnen auch zu einem Lehrer ging, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten oder selbst Bockmist gebaut haben. Jeder Junge wusste, dass er sich bei mir auch so richtig ausheulen durfte, selbst wenn er schon 18, 19 oder 20 war. Mancher nahm deshalb auch ein Traktat mit.

Ebenso müssen Gemeinden wissen, dass es an ihnen liegt, ob sich Gäste wohlfühlen oder doch lieber zuhause bleiben: Wer nur die Rückenansicht der Gemeindemitglieder während des Kirchenkaffees betrachten darf, fühlt sich dort nur selten wohl. Neue Gemeindemitglieder kommen sich verschaukelt vor, wenn sie spüren, dass sie entweder nur das fünfte Rad am Wagen oder für die Arbeiten zuständig sind, die sonst keiner machen will. Genauso, wie Gemeindemitglieder sich in die Kirchenarbeit einbinden lassen sollten, genauso ist es wichtig, jedes Gemeindemitglied auch seitens der Gemeinde einbinden zu wollen. Es ist nicht sonderlich sinnvoll, wenn Gemeindemitglieder zu bloßen Konsumenten werden, die den Gottesdienst besuchen und dann wieder nach Hause gehen ohne sich in der Gemeinde engagieren zu dürfen und allein zu bleiben.

Nein, wirklicher Gottesdienst ist nicht nur die eine Stunde am Sonntag, sondern sie findet beständig statt. Wirklicher Gottesdienst hat sehr viel mit unserem Denken, Reden und Handeln zu tun. Es hat sehr viel damit zu tun, wie wir miteinander umgehen, ob wir bereit sind, Gutes zu tun, wenn wir es können und ob wir auch diejenigen Gemeindemitglieder besuchen, die aufgrund von Alter oder Krankheit oder Invalidität nicht kommen können. Genauso, wie es bei der Kindererziehung das Beispiel ist, das am Effizientesten Wirkung erzielt, genauso ist es das gute Beispiel, das zur besten Predigt wird.


(Autor: Markus Kenn)


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