Charismatik - Ein Weg?



Ich selbst habe mich am 3. September 1991 in Esslingen am Neckar in einer charismatischen Gemeinde bekehrt; anfangs konnte ich das, was ich dort erlebte, nicht richtig einordnen: Man war offen, und ich war schnell integriert und in einem Hauskreis. Für mich, der in der katholischen Kirche sozialisiert wurde, war Vieles ungewohnt und auch sonderbar, doch ich dachte, dass alles auf einem biblischen Fundament beruht, denn die Menschen, mit denen ich es zu tun hatte, kannten sich in der Bibel aus und konnten anscheinend alles mit einer Bibelstelle belegen.

Der Gemeinde bin ich nicht beigetreten, doch das lag nicht an ihr, sondern vielmehr daran, dass ich aufgrund der kurz bevorstehenden Wiedervereinigung Deutschlands und den sich daraus ergebenden Truppenreduzierungen aufgrund der veränderten geopolitischen Lage meinen Arbeitsplatz bei der US-Army, bei der ich deutscher Zivilangestellter war, verlieren würde, und es stand für mich fest, dass ich wieder zurück an die Mosel zog, weil mein Vater zu diesem Zeitpunkt pflegebedürftig wurde. Ich gebe zu, dass ich mich in dieser Gemeinde wohl fühlte, auch wenn mir ihre Gottesdienste sehr exotisch vorkamen.

An der Mosel schlief dann zeitweilig der Kontakt zur Pfingstbewegung ein; ich orientierte mich zunächst an einer altkatholischen, dann an einer baptistischen Gemeinde. Im Bibelkreis dieser Gemeinde waren auch einige Charismatiker, und ich bekam Kontakt zu einer Gemeinde, die sich in der Nähe meines Wohnortes befindet. Ab und zu besuchte ich dort Veranstaltungen, und der Kontakt intensivierte sich im laufe der Zeit. Bald besuchte ich dort die Gottesdienste und half auch beim Bau einer Gemeindehalle mit, in der zukünftig ein Gottesdientraum und diverse Seminar- und Veranstaltungsräume untergebracht werden sollten. Mit der Zeit aber kam mir Einiges sonderbar vor.

So war die Gemeindeleitung im Wesentlichen in der Hand eines Familienclans, der die Gemeinde irgendwie sektenartig und diktatorisch leitete; an jedweder Obrigkeit durfte keine Kritik geäußert werden. Mein Hinweis, dass man aber Gott in jedem Fall mehr gehorchen muss als den Menschen, wurde nicht gern gehört, obwohl ich dies an Beispielen belegen konnte. Schließlich sagte die Gemeindeleitung ja selbst, dass Abtreibung im Lichte der Bibel nicht hingenommen werden kann. Mein Hinweis, dass im Alten Rom sowie in der Welt des ehemaligen Ostblocks sowie in den jetzt noch bestehenden sozialistisch-kommunistischen Ländern wie Nordkorea und Kuba Christen verfolgt werden und man daher in dieser Hinsicht den Gehorsam gegenüber der weltlichen Regierung diesbezüglich verweigern müsse so gut man kann, stieß auf Unverständnis. Wo blieb da die Solidarität mit den Christen in der Verfolgung, die ja unsere Geschwister sind? Leidet der Herr Jesus nicht selbst mit ihnen?

Während der ganzen Zeit konnte ich mich auch nicht mit der so genannten Zungenrede anfreunden: Warum sollte ich in merkwürdigen Lauten sprechen, die an die ersten Äußerungen eines Neugeborenen erinnern, welches die Sprache noch nicht beherrscht? Und konnte ich mir sicher sein, dass die Auslegung, die jemand bei einer solchen Zungenrede gab, richtig war? Ich jedenfalls verstand ja kein Wort; demzufolge hätte mir jeder alles erzählen können ohne dass ich den Wahrheitsgehalt auch nur annähernd hätte prüfen können. Dabei heißt es im 1. Thessalonicher 5, 21: "Prüft aber alles und das Gute behaltet." - Wie kann ich das aber tun, wenn eine Sache für mich nicht nachvollziehbar ist? Und warum sollte Gott einen Umweg nehmen, in dem Er jemanden in einer für alle unverständlichen Sprache reden lässt, die ein Anderer auslegt?

Dabei muss auch beachtet werden, dass sich niemand von uns frei sprechen kann, dass das, was er einem Anderen sagt, nicht durch den Filter der eigenen rosaroten Brille gesiebt wurde. Jeder Schüler lernt im Sozialkundeunterricht deshalb, dass man verschiedene Zeitungen und Zeitschriften lesen soll, um sich ein genaues Bild davon zu machen, was in der Welt wirklich los ist, weil die eine Zeitung liberal, die andere konservativ und die nächste eher sozialdemokratisch geprägt ist. Uns Christen geht es da auch nicht viel anders, weil wir von unseren Erfahrungen und unserem Milieu geprägt sind.

In den Gottesdiensten oder bei Veranstaltungen fielen immer einige Gemeindemitglieder auf den Rücken, was als das "Ruhen im Geist" bezeichnet wurde. Mittlerweile hatte sich meine Bibelkenntnis verbessert, und ich wunderte mich über diese Praxis, denn die Bibel berichtet immer wieder davon, dass die Menschen vor Gott auf das Angesicht gefallen sind. Nur bei dämonischen Belastungen wird berichtet, dass Menschen auf den Rücken fielen. Ich bekam es nicht zusammen, und als ich eine Erklärung erbat, wurde ich abgewürgt.

Bei einer Veranstaltung zu Sylvester - ich weiß nicht mehr ganz genau, in welchem Jahr dies gewesen ist -, war eine "Prophetin" eingeladen, zu der die Pfingstgemeinde einen regen Kontakt unterhielt. Ich war auch auf dieser Veranstaltung, und die Prophetin sagte, dass ich in dieser Nacht von meiner Vergangenheit befreit würde.

Zum Verständnis sollen die nachfolgenden Ausführungen beitragen: Mein Vater war durch einen Unfall - damals war ich gerade fünf - und einen zu spät erkannten Schädelbasisbruch psychotisch geworden, meine Mutter war sehr labil. Weil mein Vater damals durch den Arbeitgeber nicht versichert war, gab es Streitpunkte über den Kostenträger. Ohne Geld konnte die Miete nicht mehr aufgebracht werden, und wir wurden in ein Gemeindehaus zwangseingewiesen, dass unter aller Würde war. Im Dorf wurde ich zu einem Ausgestoßenen, der Klassenkeile bekam und dem die verantwortliche Lehrerin der ersten Klasse bei der Einschulung attestierte, dumm zu sein und auf die Sonderschule zu gehören. Weil damals Förderschulen nicht weit verbreitet waren, hatte sich die Einschulung in einer solchen Einrichtung erledigt. Als Linkshänder wurde ich von dieser Lehrerin auf rechts umgeschult, ein Umstand, den man heute noch an meiner Sauklaue festmachen kann, obwohl ich längst wieder mit links schreibe. Um mich umzustellen, gebrauchte sie Brachialgewalt. Verschiedene andere Lehrer in der Schulzeit hatten ebenfalls Vorurteile gegen mich. Ich gehörte zu den Kindern, mit denen man niemand spielen darf. Ich hatte als Kind nur eins, zwei Freunde, ansonsten war ich alleine. Es kommen auch noch viele andere Dinge dazu, aber ich bitte um Verständnis, wenn ich hier nicht alles ausführe; es würde zu lang, und ich möchte mich selbst nicht mit schmerzhaften Erinnerungen belasten. Jedenfalls wusste die Gemeindeleitung davon, und ich habe den Eindruck, dass sie die Prophetin mit entsprechenden Informationen versorgt bzw. entsprechend instruiert hat. Jedenfalls wurde ich in jener Nacht nicht im Entferntesten von meiner Vergangenheit befreit.

Es ist typisch für die charismatische Bewegung, dass sie einen sehr großen Wert auf Propheten legt, doch schaut man einmal genauer hin, dann ist es nicht sehr weit her mit der Erfüllung von Prophezeiungen. Auch der Wunderglaube nimmt einen großen Stellenwert ein, doch bekannte Charismatiker und "Wunderheiler" wie Benny Hinn können nicht einen einzigen Beweis für ihre angeblichen Wunderheilungen antreten.

In der Pfingstbewegung wird auch ein Wohlstandsevangelium gelehrt: Wer "richtig" glaubt, bleibt gesund und wird reich. Wer arm ist, wer krank wird, wer in Not gerät, der glaubt nicht richtig, bei dem sind noch Flüche aus der Vergangenheit, bei dem liegen noch unvergebene Sünden versteckt, die aufgedeckt werden müssen. Eine solche Lehre ist fatal: Jeder Christ, der - aus welchen Gründen auch immer - in Not und Elend gerät, wird durch eine solche Lehre gebrandmarkt. Zugleich widerspricht sie der biblischen Lehre: Aus der Geschichte vom armen Lazarus und dem reichen Mann erfahren wir ja, dass der Reiche in die Hölle kam, während der arme Lazarus gerettet ist. Daraus lässt sich nur schließen, dass der arme Lazarus gläubig war und der Reiche nicht.

Darüber hinaus ist Jesus in die Armut hinein geboren worden, in das Haus eines einfachen Zimmermanns. Seine ersten Jünger waren einfache Leute, Fischer, die wirklich nicht auf Rosen gebettet waren. Und sind es nicht Hirten gewesen, die Ausgestoßenen jener Zeit, die von Seiner Geburt als Erste erfahren haben? - Da passt ein Wohlstandsevangelium nicht wirklich hinein.

Die Tatsache, dass Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV zu meinen Lebensumständen gehören, hat zugegebenermaßen auch mit falschen Entscheidungen zu tun, die ich getroffen habe, aber sie sind kein Indiz für mangelnden Glauben und schon gar kein Beweis dafür, dass Gott mich nicht segnet. Nein, Seinen Segen spüre ich auch und gerade in dieser für mich nicht angenehmen Situation. Ich bin dankbar geworden für das, was ich habe. Und ich habe gelernt, dass man Gott in Krisensituationen vertrauen kann und vertrauen darf.

In der Frohen und freimachenden Botschaft Jesu geht es nicht darum, dass wir als Christen Wunder auf Knopfdruck produzieren, es geht auch nicht um tolle Showeffekte, es geht nicht darum, dass wir aus weltlicher Sicht erfolgreich, stets gesund und immer gut drauf sind. Jesus hat uns nicht versprochen, dass wir hier auf dieser Erde bar aller Probleme sein werden, sondern dass wir in Seiner Welt ewig und glücklich leben werden.

Irgendwann stellte ich mir die Frage, ob die Leiterschaft jener Gemeinde ihren Glauben wirklich ernst nahm bzw. nimmt oder ob es nur Lippenbekenntnis und eine scheinbare Frömmigkeit ist: Wiederholt habe ich von zuverlässigen Leuten erfahren, dass sie schlechte Arbeitgeber sind; sie haben ein Stahlbauunternehmen. Ihre Mitarbeiter bekommen Löhne und Gehälter, von denen sie nicht wirklich existieren können.

Weil ich schon oft in meinem Leben von Arbeitslosigkeit betroffen war, hatte ich sie einmal gefragt, ob sie nicht eine Möglichkeit hätten, mich irgendwo in einer Arbeit unterzubringen. Das Ergebnis hat mich geschockt: Sie wollten, dass ich bei einem Onkel, der einen Fährbetrieb hat, mit Verlust arbeite. Die Frage, wovon ich dann leben sollte, wurde ganz einfach beantwortet: "Vertrau auf Gott!"

Nun denn: Ich vertraue auf Gott, aber das heißt ja nicht, dass ich ohne nach rechts und links zu schauen über die Strasse renne oder sonstige Leichtsinnigkeiten begehe. Gottvertrauen bedeutet nicht, dass ich mein Hirn ausschalte, ganz im Gegenteil. Ich kehrte der Gemeinde den Rücken. Man warf mir vor, nicht vergeben zu können, aber heißt vergeben denn, dass man sich zum Opfer machen lässt?

Nein, die Charismatik ist nicht der richtige Weg. Das sage ich im Bedauern auf die vielen wirklich tollen Leute, die hier auf eine Irrlehre hereinfallen, obwohl sie wirklich Christus dienen wollen. Genauere Informationen erhält man vom ESRA-Schriftendienst, und auch der CLV hat gute Bücher über diese Thematik.


(Autor: Markus Kenn)


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