Leid soll läutern!



Als ich das zum ersten Mal las, hatte ich ganz schön zu knacken: Will Gott denn, dass wir beständig mit Trauermine herumlaufen so wie die Heiligen, die auf mittelalterlichen Bildern abgebildet sind und so aussehen, als wären sie in der tiefsten Hölle? Sollen wir in Sack und Asche herumlaufen und uns selbst kasteien wie einst die Büßer zu Paracelsus Zeiten? Ob das so gemeint ist?

Nun denn: In meinem Leben habe ich auch oft gefeiert, weil ich das Leben genießen wollte; ich zog durch Kneipen und durch Diskos, besuchte Sankt Pauli und Frankfurts Kaiserstraße, und ich muss zugeben, dass ich mich ungezählte Male betrunken habe. Ich ging zum Karneval, obwohl ich eigentlich nie ein Fan davon war, ich besuchte Volksfeste. Aber die Leere blieb sehr lange. In diesen Zeiten habe ich nichts gelernt, bin menschlich und moralisch nicht weiter gekommen.

Ich durchlebte Zeiten der Trauer, das hat jeder schon von uns, doch die schwersten Zeiten meines Lebens waren und sind auch jene, in denen ich am Meisten gelernt habe. Wenn ich während meiner Zeit als deutscher Zivilangestellter bei der US-Army nicht schwere Gewissenskonflikte gehabt hätte, die durch den ersten Golfkrieg 1991 hervorgerufen wurden, dann hätte ich mich nie bekehrt.

Es hat mir selbst sehr viel gebracht, wenn ich mich Menschen zuwandte, denen es schlecht ging, und ich merke auch heute noch, dass da etwas ist, was mich reifer macht. Das heißt nicht, dass ich Menschen das Leid gönne; vielmehr wäre ich froh, wenn alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Doch in dieser Welt ist es nun einmal anders, das Leben hier auf dieser Erde ist alles Andere als ein Wunschkonzert.

Die Erfahrung der eigenen Trauer und des Trostes, den mir Menschen gaben, hat mir auch gezeigt, dass ich nicht alleine bin. Gleichzeitig nahm und nimmt mich das in die Pflicht: Weil ich Trost erfahren habe, will ich meine Hand nicht dem verweigern, der sie braucht, und meine Schulter soll stets bereit für die sein, die sich daran ausheulen wollen. Das eigene Leid hat mich offen gemacht für Gottes Wirken, für die Veränderungen, die Jesus an mir vornehmen wollte. Wer selbst Hunger erlebte, teilt leichter sein Brot als der, der immer im Überfluss hatte. Ich habe auch festgestellt, dass es oft die Behinderten sind, welche ein großes Verständnis haben für die Sorgen und Nöte ihrer Umwelt.

Gott lässt solche Prüfungen also nicht deshalb zu, um uns zu ärgern oder gar zu schikanieren; Er sieht unser Leid und ist selbst traurig darüber, doch Er weiß, dass wir daran wachsen. Trauer, Sorgen, Not und Leid sind Aufgaben, an denen wir wachsen. Es ist leicht, vom Sparen zu reden, wenn man selbst mehr als genug hat, doch der, der sich einschränken musste, weiß am Ende aus Wenigem viel zu machen. Bei der US-Army, in der Umschulung zum Hotelfachmann, als Sicherheitsmitarbeiter und in diversen Ein-Euro-Jobs wunderte man sich oft genug über mein Improvisationstalent. Das soll keine Angabe sein und auch kein Eigenlob. So waren einmal keine Nägel da, sondern nur Schrauben, und es waren Bilder aufzuhängen. Dann wurden eben die Schrauben genommen. Bei der US-Army kassierte ich die zurück gelassenen Fernseh- und Radiogeräte von Kollegen ein, die diese nicht mehr wollten und deshalb entsorgt werden mussten. Mit einzelnen Bauteilen konnten zwei gewitzte Techniker noch Funkgeräte der Armee reparieren. Anders ausgedrückt: Die Not, die ein Mensch durch leidet, macht ihn kreativer und erfinderischer.

Trauer und andere Belastungen sind zugleich ein Training, das uns charakterlich stärker und seelisch belastbarer macht. Wer körperliche Belastungen zu tragen hat, weiß selbst, dass man dadurch fitter wird. So ist es auch im übertragenen Sinn mit Not und Trauer: Wer beides tragen musste, ist stärker. Diese Stärke können wir dann in der Reich-Gottes-Arbeit einsetzen.

Zugleich werden wir verständnisvoller und sensibler für das Leid des Anderen: Wer selbst einen Trauerfall durchlitten hat, versteht den besser, der am Grab seiner Eltern oder seiner Geschwister weint. Wer selbst Krebs oder schlimme Krankheiten durchlebte, versteht die Angst eines Kranken auf der Intensivstation. Und dies ist auch der Erfolg der Selbsthilfegruppen: Weil hier Menschen zusammen finden, die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal haben, versteht man einander und kann sich stützen.

Mit dem Leid, das Gott zulässt, können wir an Liebe zu unseren Nächsten, vor allem aber auch im Vertrauen zu Gott wachsen. Es ist ja die Not, nicht das Übermaß an Glück, das uns beten lehrt. Leid bringt uns auf die Knie und vor Gott, vor dem wir absolut ehrlich sein müssen, sein dürfen und sein können. Wenn unser Leid zu Gebet führt, dann zeigt Gott uns, wo wir falsch liegen, was wir ändern können durch Jesu Wirken. Unser Leid soll uns nicht resignieren lassen, sondern uns im Kampf stärken gegen die Mächte der Finsternis, denn wir sind ja die Soldaten in Gottes Armee. Diejenigen von uns, die bei der Bundeswehr gewesen sind, wissen, dass die Märsche, dass der Sport uns leistungsfähiger machte. So ist auch Gottes Training: Wir werden leistungsfähiger im Kampf gegen das Böse.


(Autor: Markus Kenn)


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