Schamgefühl



Anfang der 1970iger Jahre war es im Allgemeinen noch verpönt, wenn eine Frau im Schwimmbad "oben ohne" ging, und FKK hatte einen zweifelhaften Ruf. Mittlerweile gibt es Frauen, die anscheinend kein Problem damit haben, sich in einem Freibad "oben ohne" zu sonnen, und FKK ist längst alltäglich. Aber soweit braucht man gar nicht zu gehen: Bereits in unseren Zeitschriftenläden und am Kiosk oder an den Zeitschriftenständen in Supermärkten sehen wir selbst bei seriösen Zeitungen und Zeitschriften relativ leicht bekleidete Frauen. Kaum ein Film und kaum eine Serie kommt heute anscheinend ohne Nackt- und Liebesszenen aus. Selbst Jugendzeitschriften wie die "BRAVO" zeigen Liebesszenen, obwohl sie selbst von Zehnjährigen gelesen werden.

Das alles sind die Früchte der so genannten "sexuellen Befreiung", die im traditionellen Schamgefühl Leibfeindlichkeit zu entdecken glaubte: Deshalb wurde in der 1968iger-Generation die "sexuelle Revolution" ausgerufen, in der man das Schamgefühl immer weiter zurück drängte. Dabei kam es aber nicht zu einer Befreiung, sondern vielmehr zu Zwängen; wer zum Beispiel als Jungfrau in die Ehe gehen möchte, wer der traditionellen Sexualmoral das Wort redet, derjenige, für den Sexualität in die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gehört, wird verlacht, angegriffen und oft auch verleumdet. Schnell ist man mit dem Vorwurf des Fundamentalismus dabei. Kaum jemand fragt, ob solche Vorwürfe überhaupt haltbar sind.

Doch die Sexualisierung unserer Gesellschaft ist längst noch nicht abgeschlossen: Längst versucht man, unsere Kinder bereits im zarten Kindergartenalter die verschiedenen "sexuellen Orientierungen" nahe zu bringen. Damit werden sie Dingen ausgesetzt, die sie noch gar nicht verarbeiten können. Man kann sich an nur drei Fingern abzählen, dass Kinder dadurch schwere seelische Schäden davon tragen werden. Damit kommt eine weitere Kostenlawine auf unsere ohnehin schon angeschlagenen Kranken- und Sozialkassen zu.

Ähnliches sehen wir auch bei geistig Behinderten: Ihnen wird Sexualität zugestanden ohne Rücksicht darauf, ob sie geistig in der Lage sind, diese richtig zu bewerten und die damit verbundenen Konsequenzen zu übersehen. Damit wir uns richtig verstehen: Selbstverständlich haben Behinderte das Recht auf Liebe, menschliche Wärme und Zuwendung, sie haben das Recht, als das wahrgenommen und behandelt zu werden, was sie sind: Als vollwertige Menschen, die ein Teil dieser Gesellschaft sind und die Anspruch darauf haben, ernst genommen und mit Respekt behandelt zu werden, und dies gilt selbstverständlich unabhängig von der Art bzw. dem Grad der Behinderung. Doch genauso wenig, wie man von einem Blinden erwarten kann, dass er ein kunstvolles Gemälde produziert, können wir je nach Schwere der Behinderung von einem geistig behinderten Menschen nicht erwarten, dass er in der Lage ist, all das zu beurteilen, was ein gesunder Mensch selbstverständlich zu beurteilen vermag. Es geht darum, sie vor Dingen zu schützen, die sie nicht verkraften können: Das hat nichts mit Vorurteilen, sondern schlicht und ergreifend mit Fürsorge zu tun.

Ein Weiteres: Oft erlebe ich, wie Menschen - insbesondere sind es hier Männer - schmutzige Witze erzählen und schlüpfrige Reden halten. Bei Einigen kann man nicht einmal mehr über das Wetter reden, weil sie nur Deutschlands Thema Nummer Eins kennen. Das ist traurig und zeigt zugleich einen Mangel an Beziehungsfähigkeit, an Festigkeit und an Schamgefühl.

Es ist auch kein Fortschritt, wenn pornografische Seiten im Internet immer häufiger aufgerufen werden und sich pornografische Literatur besser verkauft als ein Gedichtband oder ein Sachbuch. Vielmehr zeigt dies in gewisser Hinsicht eine geistige und moralische Verwahrlosung in unserer Gesellschaft; es ist also ein Weg, der in die falsche Richtung weist.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Bordelle keineswegs dazu beitragen, dass die Anzahl der Vergewaltigungen nicht noch höher sind, im Gegenteil: Dort, wo Sexualität allzu freizügig ist, verlieren Schamgefühl und Hemmschwellen ihre Wirkung. Wer nicht gelernt hat, seine Lust, seine Gefühle zu beherrschen, wird Gefangener seiner eigenen Gier. Schamgefühl hat also auch sehr viel mit Selbstbeherrschung zu tun. Wer sich selbst beherrschen kann, der ist freier als jemand, der jede Selbstbeherrschung verloren hat. Derjenige, dem die Fähigkeit zur Selbstkontrolle fehlt, hat auch Disziplin verloren, die notwendig ist, um Ziele zu erreichen. Ohne Disziplin aber wird man oft zu einem Sozialfall. Unter Schul- und Ausbildungsabbrechern gibt es einen nicht zu übersehenden Anteil von Jugendlichen, die es nicht gelernt haben, sich Ziele zu setzen und dafür etwas zu tun.

Ohne Schamgefühl macht man zudem Frauen zu einem reinen Sexual- und Lustobjekt. Folglich steht dahinter ein sehr feindliches, weil destruktives Menschenbild. Ein Mann, der in einer Frau nur das Medium zu seiner Triebbefriedigung sieht, muss sich die Frage nach dem eigenen Selbstwertgefühl und der eigenen Selbstachtung stellen: Sehr weit kann es in diesem Fall damit nicht her sein.

Schamgefühl bedeutet nicht nur, dass man darauf achtet, sich selbst nicht in seiner Blöße zu präsentieren, sondern auch, dass man sich selbst beherrscht. Dieses Gefühl ist so gesehen der siamesische Zwilling von Anstand und Respekt anderen gegenüber. Wer in einer Frau nicht das Lustobjekt, sondern den Menschen sieht, der ist auch fähig, Beziehungen und Freundschaften aufzubauen, die gesund und tragfähig sind, und er wird in der Sexualität, welche in die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gehören, als das erleben, was sie ist: Als etwas sehr schönes, erfüllendes, welches sich zwei Menschen schenken, deren Beziehung auch etwas ganz Besonderes ist. In einer solchen Beziehung kann Leben weiter gegeben werden, und Kinder können hier lernen, was es bedeutet, zusammen zu stehen in guten wie in schlechten Zeiten. Sie lernen also dadurch Teamfähigkeit, die ja eine wichtige Schlüsselqualifikation ist, und sie lernen, gemeinsam Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu bewältigen. Das ist nicht nur in der Ehe und in der Familie, sondern im menschlichen Miteinander von äußerster Wichtigkeit.

Wirkliches Schamgefühl ist aber nicht nur im Bereich der Sexualität wichtig, sondern überall. Menschen, die sich nicht schämen können, verlieren auch ihr Gewissen und das Gefühl für Gut und Böse. Ohne Schamgefühl werden wir leichtsinnig, oberflächlich und bequem; wir werden unzuverlässig und gleichgültig. Derjenige aber, der sich schämt, eine schlechte Arbeit abzugeben, bemüht sich, Qualität zu liefern. Das wiederum schafft Erfolgserlebnisse und hilft uns, dass wir uns verfeinern und verbessern können. Schamgefühl bewirkt zudem Respekt vor den Anderen und schenkt so Hilfsbereitschaft und Höflichkeit, aber auch Selbstachtung. Hingegen wird derjenige, der sich nicht zu schämen vermag, zu einem Gefühlsinvaliden.


(Autor: Markus Kenn)


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