Gebet und Tat



Jeder von uns kennt ganz sicher Zeitgenossen, die zwar lange beten, die sich in der Bibel auskennen wie kaum ein Anderer, deren Bibliothek voller christlicher Bücher ist, die Gospels beständig als Musik hören, die engagiert in der Gemeinde sind .... Es ist erstaunlich, wo sie überall vorne weg mit dabei sind, wenn es darum geht, einen frommen Schein zu wahren, doch wenn man dann auf ihr moralisches Leben sieht, dann denkt man: "Nein, danke: Mir ist schon schlecht!"

Der fromme Schein bringt im Grunde nichts außer einem großen Schaden für den christlichen Glauben: Wie auch anderswo beurteilt man die Qualität und die Seriosität stets nach den Mitgliedern und Mitarbeitern einer Gruppe, Firma, Glaubensrichtung. Wir gehen doch auch nicht mit dem Auto in eine Werkstatt, dessen Eigentümer mit dem eigenen Wagen alle hundert Meter eine Panne hat. Und wenn sich ein Soldat in Uniform daneben benimmt, dann schließt man nicht nur auf ihn, nicht allein auf seine Einheit, seine Kaserne, seine Verwendungsreihe und seine Teilstreitkraft, sondern auf die ganze Armee.

Deshalb sind in den Bekleidungsgeschäften die Verkäufer stets entsprechend bekleidet: Wer bei einem Herrenausstatter einkauft, sieht die Verkäufer stets in Anzügen mit Schlips und Kragen. Autohäuser stellen ihren Verkäufern einen Dienstwagen zur Verfügung, an dem weder Schmutz zu sehen ist noch irgendwelche auch noch so kleinen Schäden feststellbar sind. Banken und Versicherungen bauen deshalb bombastische Glaspaläste, damit die Menschen sehen, dass sie mit Geld umgehen können.

Natürlich ist das Evangelium keine Ware, und wir können sie auch nicht marktschreierisch anbieten, auch wenn es unsere Aufgabe ist, Jesus zu bekennen. Und nicht jeder Jünger Jesu hat die notwendigen Mittel, um sich chick zu kleiden oder ein tolles Auto zu fahren. Darauf kommt es auch gar nicht an. Sicher ist es angebracht, gepflegt zu sein, aber Gott sieht auf unsere Herzen und gibt uns den Segen, wenn wir Ihm aus ganzem Herzen dienen. Abgesehen davon wirkt selbst ein Herr im maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug, mit italienischen Lackschuhen, mit einer goldenen Luxusuhr, mit teuerem Rasierwasser und ausgewählten Parfüms einfach nur lächerlich, wenn er zwar von Nächstenliebe rhetorisch perfekt zu reden weiß, aber dem, der nach ihm kommt, die Türe vor der Nase zuknallt. Glaubwürdiger ist da ganz sicherlich ein Kerl in Turnschuhen, in einer verwaschenen Jeans und mit Holzfällerhemd, der einem armen Rentner die Wohnung für lau renoviert, weil dieser sich keinen Handwerker leisten kann.

Überzeugt haben mich ja nicht diejenigen, die großartige Predigten halten können, sondern diejenigen, die als Christen zeigten, dass Nächstenliebe für sie keine Theorie, sondern gelebte Praxis ist. Beten ist für eine lebendige Beziehung mit Gott außergewöhnlich wichtig, doch wenn wir nicht bereit sind, unseren Schuldigern zu vergeben, dann müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob wir das Vater unser ernst nehmen. Niemand nimmt uns die Bergpredigt ab, wenn wir streitlustig sind. Und auch die Zehn Gebote wollen gehalten sein, wenn unser Glaubensbekenntnis aufrichtig ist. Was halten wir denn von jemanden, der lügt und betrügt, aber an unsere Ehrlichkeit appelliert? Nehmen wir jemanden wirklich ernst, der sagt, dass man die Alten ehren soll, während er gleichzeitig Senioren als "Friedhofsgemüse" bezeichnet?

Vor allem tun wir uns selbst nichts Gutes, wenn wir Böses tun: Jede Sünde - und sei sie noch so klein - schädigt nicht nur einen Anderen, sondern vor allem und zuerst uns selbst. Auch wenn wir niemals verdächtigt werden, Böses getan zu haben und als Gutmenschen gelten, so leiden wir zumindest an dem inneren Spagat, an unserem eigenen Verbiegen, wenn wir so handeln. Irgendwo ist auch bei jedem, der das Schlechte tut, die Angst da, doch noch erwischt zu werden. Wenn man Zeuge geworden ist, wie ein Ladendieb durch den Kaufhausdetektiv überführt wurde, so sehen wir den Täter oft erröten, weil er sich schämt. In der Schule ist es peinlich, beim Pfuschen erwischt zu werden, und wer vor versammelter Mannschaft bekennen musste, gelogen zu haben, weiß, dass dies kein sehr schönes Gefühl ist.

Gutes tun ist zugleich konstruktiv und bringt uns selbst persönlich weiter. Es geht hierbei allerdings nicht um Karriere, um Ansehen, um Selbstbewusstsein hoch drei, sondern darum, dass wir erst einmal über unseren eigenen Tellerrand schauen. Wer die Not des Anderen sieht und nicht achselzuckend weiter geht. Ich selbst besuche einige Senioren, die ich persönlich kenne, sehr gerne im Altenstift: Sie freuen sich, und ich profitiere von ihren Erfahrungen. Dabei geht es nicht allein um ein paar Küchenrezepte oder kleine Tipps, wie man Flecken aus dem Hemd bekommt oder man eine kleine Reparatur schnell, billig und gut selbst erledigen kann, sondern um echte Lebensweisheiten. Ich habe gelernt, Vieles gelassener zu sehen.

Zudem gibt einem das Bewusstsein, für Menschen in Not einzustehen, ein gutes Gefühl. Wir kreisen dann nicht mehr allein um die eigene Achse. Gleichzeitig ist es der beste Gottesdienst, wenn sich in unserem Handeln die Liebe zu Gott und den Menschen widerspiegelt. Der Priester und der Levit aus dem Gleichnis, die den Verletzten einfach liegen ließen, mögen die Schriften sehr gut gekannt haben; richtig gehandelt hat aber der barmherzige Samariter. Gott braucht nicht unsere Opfer oder irgendwelche Bußübungen: Ihm gehört ohnehin alles, und es bringt niemandem etwas, wenn wir uns selbst kasteien. Wohlgefällig sind wir Gott allerdings, wenn wir uns für die Witwen und Waisen einsetzen, wenn wir uns um Alte, Einsame und Kranke kümmern, wenn wir Hungrige speisen und Barmherzigkeit üben. Gleichsam ist gelebte Nächstenliebe zusammen mit dem aufrichtigen Bekenntnis zu Christus Jesus als den einzigen Heilsweg die beste Predigt.


(Autor: Markus Kenn)


  Copyright © by Markus Kenn, www.christliche-themen.de
  Dieser Inhalt darf unter Einhaltung der Copyrightbestimmungen kopiert und weiterverwendet werden