Von der Notwendigkeit der Selbstliebe



Jesus wurde einst von einem Schriftgelehrten gefragt: „Lehrer, welches ist das wichtigste Gebot des Gesetzes?“ Darauf antwortete Jesus: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Verstand! Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Das zweite ist gleichwichtig: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!“

Nun wird Nächstenliebe in allen christlichen Gemeinden und Gemeinschaften, in allen sozialen Bereichen unserer modernen Gesellschaft propagiert und ist Voraussetzung für viele Dienste. Manchmal wird sie heute – so scheint mir – höher angesetzt als die von Jesus angesprochene Liebe zu Gott.

Vergessen wird dabei nach meiner Einschätzung immer wieder und immer mehr der zweite Teil dieses Gebotes der Nächstenliebe „…wie dich selbst.“ Dabei ist dieser zweite Teil, so will ich meinen, die Voraussetzung um überhaupt meinen Mitmenschen lieben zu können. Wenn ich mich selbst nicht liebe, wird Nächstenliebe schnell zur Fassade, zur Maske, zur Farce.

Das bekannte Helfersyndrom hat da nichts mehr mit der von Christus geprägten und geforderten Nächstenliebe zu tun, sondern ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit und Mutlosigkeit auch der Unversöhnlichkeit sich selbst gegenüber. Wäre es anders, könnte es kein Krankheitsbild darstellen, das therapeutisch behandelt werden muss.

Was aber meint Jesus wenn er sagt „wie dich selbst“? Ist er ein Befürworter des inzwischen weit verbreiteten Egoismus? (vor dem kein Mensch wirklich sicher ist). Oder ist Egoismus nicht viel mehr falsch verstandene Selbstliebe? Ist er vielleicht sogar das Gegenteil der von Christus gemeinten Selbstliebe sozusagen das Gegenstück zum Helfersyndrom?

Was also heißt das, Sich selbst lieben? Was bedeutet Selbstliebe im biblischen Sinne?
Sich selber zu lieben bedeutet zuerst sich selber annehmen zu können, mit allen Schwächen, Fehlern, mit allem Versagen. Dies nun ist leider besonders auch für Christen (vor allem gerade deshalb, weil wir uns davor fürchten Egoisten zu sein), keine Selbstverständlichkeit, sondern ein langer und meist recht schwieriger Prozess.

Es fällt nicht leicht zu akzeptieren, dass ich oft aufbrausend und ungeduldig bin, dass ich viele Dinge viel zu schnell persönlich nehme oder immer unpünktlich bin. Es ist schwer hinzunehmen, dass ich im Privat- und Berufsleben immer wieder mit den gleichen Menschen aneinander gerate. Ich ertappe mich immer wieder zu meinem eigenen Ärger dabei, dass ich eine schlechte Meinung von Menschen habe und diese dann sogar äußere. Ich habe auch keine Freude daran mir einzugestehen, dass ich vieles einfach nicht kann und andere das viel besser hinkriegen.

Dafür brauche ich meinen Heiland. Nur Jesus – der für mich Gekreuzigte, Gestorbene und Auferstandene kann mir da helfen. Ihm kann ich all meine Selbstzweifel, meinen Selbsthass, meine Selbstablehnung bringen. Er will sie tragen. Er nimmt sie mir ab und beschenkt mich, damit es mir gelingt mir meine Fehler einzugestehen ohne mich selbst sofort dafür zu verdammen. (Natürlich heißt das jetzt nicht, dass ich nie an mir arbeiten und alles einfach laufen lassen soll.)

Diese Art der Selbstliebe, wenn ich mich annehmen, akzeptieren und mögen kann, mit all meinen großen und kleinen Fehlern, mit meinen Macken, Ecken und Kanten. Wenn ich lerne, sie als Teil meines Wesens anzuschauen und liebevoll mit meinen Schwächen umzugehen. Um dahin zu gelangen, ist es sinnvoll mich ab und zu versuchsweise mit den Augen meines Schöpfers zu sehen. Er hat mich genauso gemacht wie ich bin. Er will mich so. Er liebt mich so. Ich habe ja auch ein paar, wenn auch wenige, gute Eigenschaften und Talente, oder?

Wenn ich durch Christus zur Selbstliebe befähigt bin, kann daraus echte Nächstenliebe – die AGAPE – wachsen. Dann kann ich auf mein Gegenüber (Partner, Kollege, Mitschüler, Kunde, Patient, anvertraute Kinder …) mit einem liebevollen Blick schauen.

Diese Art der Selbstliebe ist Voraussetzung für die Nächstenliebe von der Jesus spricht, wenn er sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Wie könnte ich meinen Nächsten lieben, wenn ich mich selbst hasse? Aus Hass gegen mich selbst wächst früher oder später Unzufriedenheit, ein Gefühl des unglücklich Seins und eventuell Hass auf Einzelne oder auf die ganze Welt.

Deshalb ist Selbstliebe die Voraussetzung für echte Nächstenliebe. Deshalb heißt das Gebot statt:
„Liebe deinen Nächsten“
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.


(Autor: Sarah F. Dorn)


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