„Nanu“, wirft mancher Zeitgenosse ein, „das gibt es doch nicht: Schafe mitten im Winter draußen im Freien. Daran zeigt sich doch, dass die ganze Weihnachtsgeschichte ein Märchen ist, wenn die Bibel schon bei Dingen falsch liegt, die jedes Kind besser weiß. Da hätte sich der Verfasser des Lukasevangeliums doch zuerst einmal bei einem Schäfer schlau machen sollen!“
Genau das hat der Verfasser dieser Zeilen bei der Schäfersfamilie Sygulla in Schlangenbad-Bärstadt (Untertaunus) getan. Ich erfuhr nicht nur, dass die Schafe zu jeder Jahreszeit (sogar im klimatisch nicht sonderlich begünstigten Taunus) draußen sind, sondern im Winter auch Lämmer geboren werden. Die werden natürlich gleich nach der Geburt zusammen mit den Mutterschafen in den warmen Stall „bei Heu und Stroh“ gebracht. An Heu mangelt es auch den draußen befindlichen Schafen nicht, denn Familie Sygulla lässt es an Fürsorge nicht fehlen, zumal bei Frost ja auch das Trinkwasser einfriert und immer wieder frisches in großen Kannen herangefahren werden muss. Zu dem, was sich von früher unterscheidet, zählt der elektrische Weidezaun. Dieser macht die ständige (und nächtliche) Präsenz der Schäfersleute bei der Herde überflüssig.
Natürlich erlaubte die freundliche und weithin angesehene Schäfersfamilie mir gerne, die Herde auf verschiedenen verschneiten Weideplätzen und auch auf dem Weg von einer Weide zur anderen aufzusuchen und zu fotografieren. Und die Bilder der Schafe im Schnee zeigen, dass in den biblischen Schilderungen auch ganz alltägliche Sachverhalte keinen Anlass geben, die Berichte – auch den Geburtsbericht – als unglaubwürdig abzutun.
Doch nicht nur mit dem Verweis auf im Winter angeblich nicht auf freiem Feld weidende Schafe, sondern einfach so, aus welchem Grund auch immer, wird das Geburtsgeschehen von Bethlehem zur Legende erklärt. Das hält gleichwohl niemanden davon ab, Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, zu feiern und sich sogar an einer Weihnachtskrippe zu erfreuen. Doch welchen Sinn hat die Figur eines neugeborenen Kindes in einer noch so kunstvollen Krippe, wenn das in Bethlehem in die Welt gekommene Kind in Herz und Leben der Feiernden keine Bedeutung hat?
Wer aber in der Herzenshaltung „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben“ (Paul Gerhardt) das Weihnachtsfest begeht, hört Jahr für Jahr mit stets neuer Ergriffenheit die Botschaft „Euch ist heute der Heiland geboren!“. Dabei nimmt er nicht einfach eine bloße Mitteilung zur Kenntnis, sondern gelangt – wie die Hirten – zu einer Freude und Gewissheit, die sich auch von diesem oder jenem Gerede nicht beirren lässt.
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