Stille Nacht mit den ursprünglichen sechs Strophen
Die Entstehung des in vielen Sprachen gesungenen Weihnachtsliedes von Joseph Mohr (Text) und Franz Xaver Gruber (Melodie) ist weithin bekannt. Weniger bekannt ist, dass das Lied in der Originalfassung sechs Strophen hat:
1.Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft; einsam wacht nur das traute heilige Paar, holder Knabe im lockichten Haar, /:schlafe in himmlischer Ruh!:/
2.Stille Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn, o wie lacht Lieb' aus deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund', /:Jesus in deiner Geburt!:/
3.Stille Nacht! Heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht. Aus des Himmels goldenen Höh‘n uns der Gnaden Fülle lässt seh'n /:Jesus in Menschengestalt.:/
4.Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht väterlicher Liebe ergoss und als Bruder huldvoll umschloss /:Jesus die Völker der Welt.:/
5.Stille Nacht! Heilige Nacht! Lange schon uns bedacht, als der Herr, vom Grimme befreit, in der Väter urgrauer Zeit /:aller Welt Schonung verhieß:/
6. Stille Nacht! Heilige Nacht! Hirten erst kundgemacht Durch der Engel Halleluja tönt es laut von fern und nah: Jesus der Retter ist da! Jesus der Retter ist da!
Heimelig ist der Charakter der ersten Strophe. Alle Welt schläft bis auf ein nicht namentlich genanntes Paar, das bei dem gerade geborenen Kindlein wacht. Der volkstümlich gehaltene Stil erlaubt den holden Knaben im lockigen Haar.
Dann freilich geht es ohne Umschweife „zur Sache“, nämlich zu dem, was ein anderes Weihnachtslied treffend sagt: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute“, und somit firmiert der aus des Himmels goldenen Höh‘n in Menschengestalt herabgekommene Gottessohn zu Recht auch als „Menschensohn“. Aber beides in einem? „Wahr‘ Mensch und wahrer Gott“, heißt es in einem weiteren Weihnachtslied kurz und knapp. „Wenn ich dies Wunder fassen will, so steht mein Geist vor Ehrfurcht still“, singt Christian Fürchtegott Gellert.
Mit Stille Nacht, heilige Nacht, die der Welt Heil gebracht merkt der Liederdichter an, dass mit dem neugeborenen Kind nichts weniger als das Heil in die Welt gekommen ist. Damit steht auch die aller Welt verheißene Schonung in Zusammenhang, wie es gleicherweise durch den Namen Jesus (hebr. Jeschua = Retter) verdeutlicht wird. Doch nicht als strahlender Held kam er zu uns, sondern in Niedrigkeit. Nur so konnte er sich uns und den Völkern der Welt als Bruder nahen und uns alle Macht väterlicher Liebe erzeigen. Diese väterliche Liebe erweist sich in Verbindung mit der Gnaden Fülle als „Gottes Liebe in Aktion“.
Wie wird diese wirksam? Einem kleinen Jungen, dem es in einer Gesellschaft langweilig war, wurde zum Zeitvertreib eine Zeitungsseite mit der Abbildung eines Globus gegeben. Dieses Blatt sollte er zerschneiden und als Puzzle wieder zusammensetzen. Doch zum Erstaunen aller war der Junge in sehr kurzer Zeit fertig. Des Rätsels Lösung: Auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet, und den wieder zusammenzufügen, war kein Problem. So wurde mit der Wiederherstellung des Menschen auch die abgebildete Weltkugel wieder heil.
Das gilt auch für unsere aus den Fugen geratene Welt. Neben der Pandemie, der Umweltkrise und den weltweiten Konfliktfeldern ist der gesellschaftliche und sittliche Zerfall eines der Hauptprobleme unserer Tage. Der Mensch ist dabei mehr Teil des Problems als der Lösung. Letztere setzt voraus, dass der zerrissene Mensch wieder ganz wird. Doch wie? „Dafür ist grade der Heiland da“, lautet der Titel eines vom Straubinger Verlag Attenkofer herausgegebenen Gebetbuches. Dafür ist grade der Heiland da – „wie groß auch sei der Schade“ (Martin Luther). Wenn das keine frohe Botschaft ist!
Diese frohe Botschaft wurde den Hirten einst mit den Worten kundgemacht: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ So wird es auch an diesem Weihnachtsfest aus vielen Herzen und Mündern erklingen (vielleicht bewusster als sonst): „Christ der Retter ist da!“
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