Kürzlich sah ich im Linienbus ein junges Mädchen, dass ich auf gerade einmal 17 oder 18 Jahre schätze: Ihre Gesichtszüge waren ausdruckslos, und ihre Augen waren leer. Unwillkürlich schoss mir der folgende Gedanke durch den Kopf: "Du armes Mädchen, du hast schon alles hinter Dir!"
Sicher, ich kenne diese junge Dame nicht, und ich weiß nichts über ihr Leben, ihre Gefühle, ihre Hoffnungen. Es steht mir nicht an, sie zu verurteilen, und das möchte ich auch nicht. Doch sind die Menschen in dieser Welt nicht im Grunde tot? Mir fiel auch der einstige Kollege ein, den ich bei der US-Army hatte: Seine Augen waren derart leer und ausdruckslos, dass wir ihn alle nur als "Die toten Augen von London" bezeichneten.
Es mag sein, dass Menschen dieser Welt wie das blühende Leben aussehen, und es gibt sicherlich auch genügend unter ihnen, die sich hier glücklich fühlen mögen, doch wie tief ist das von ihnen empfundene Glück? Wirklich Ruhe haben sie nicht! Die Menschen von heute leiden trotz des zunehmenden Drucks in Schule und Beruf mehr unter Freizeitstress als unter der Arbeit. Keiner möchte in sich hineinhorchen, keiner alleine sein und mal stille Zeit haben. Ständig muss irgendetwas los sein, man braucht Dauerberieselung, und sei es nur der Fernseher, das Radio oder der MP-3-Player. Nicht umsonst sagt Jesus in Lukas 9,60: "Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!"
Im Grunde aber wissen wir, dass Leben mehr ist als Atmung, Kreislauf, Herzschlag, Stoffwechsel und Hirnströme; es lässt sich nicht auf Biologie, Biochemie und Biophysik reduzieren. Wirkliches Leben ist mehr, ist sinnstiftend, hat Zukunft über den medizinischen Tod hinaus. Das Leben ist mehr als Karriere, als die Ansammlung von Vermögen und Gütern, die man am Ende nicht mitnehmen kann. Auch der Ruhm, nach dem viele Menschen strebten und streben, ist nicht das eigentliche Leben, auch wenn sie mit einem guten Leumund in die Geschichtsbücher eingegangen sind und man nach ihnen Strassen, Plätze, Schulen, Institute und Krankenhäuser benennt.
Dies alles trug ich in mir und suchte Antworten in den verschiedenen Religionen und Philosophien, die mich aber nicht befriedigten. Am Ende widersprach sich Vieles, und es bestand nur aus Pflicht, aus Bürokratismus. All das war und ist mir zu mechanisch. Dinge, die man nur deshalb tut, um irgendein Karma zu verbessern oder so etwas wie Ying und Yang im Gleichgewicht zu halten, bleibt doch nur okkultes Wunschdenken, das gefangen nimmt und damit eigentliches Leben nicht zulässt, nicht zulassen kann.
Wie gut, dass ich immer wieder bekennenden Christen begegnete, in deren Augen ich Leben sah, auch wenn ihre ganz konkreten Situationen oft genug schwer zu tragen gewesen sind, und es gibt sehr viele Christen, die materielle, körperliche und seelische Nöte leiden und auch alle möglichen Konstellationen solcher Nöte zur Genüge kennen. Doch etwas war und ist bei ihnen anders: Inmitten von Verzweiflung ist Hoffnung, inmitten des Leides ein Trost, der durch trägt, auch wenn es knüppeldick gekommen ist. In Johannes 10,10b lesen wir dazu: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen."
Als ich mich auf Jesus einließ - es war der 3. September 1991, ein Dienstag - da erfuhr ich, was damit gemeint ist: Leben zur Genüge, in Fülle, ein Leben mit Sinn, ein Leben, das nicht in Äußerlichkeiten stecken bleibt, das Tiefgang hat und nicht den Schein braucht. Man muss keine große Karriere vorweisen, man muss keine Berühmtheit oder Schönheit sein, man muss sich nicht verbiegen, sondern man wird von Jesus verändert und sieht die Dinge mit anderen Augen. Man fragt nicht danach, ob sich etwas menschlich gesehen rechnet, sondern man handelt aus Liebe. Damit tut man sich aber selbst den grössten Gefallen: Einfach jemanden mal eine Freude machen, nur so, und die strahlenden Augen machen einen selbst glücklich. Der Besuch eines Kranken bereichert einen selbst, und wer einen Senioren im Pflegeheim besucht, geht mit vielen neuen Erfahrungen und Erkenntnissen nach Hause, die nicht irgendwelche klugen Thesen sind, die an einem grünen Tisch ausgetüftelt worden sind und für den Alltag nichts taugen, sondern die tragfähig sich ganz praktisch umsetzen lassen.
Leben in Fülle, das ist ein Leben in Jesus Christus, Seiner Reinheit, Seiner Liebe, die offen ist für Andere. Es ist ein ruhiges und stilles Leben und zugleich eines, das voll ist von interessanten Abenteuern. Leben in Fülle: Das gibt es wirklich nur bei Christus Jesus!
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