Bei meinen Eltern war es üblich, dass es am Gründonnerstag Spinat gab und man am Karfreitag auf Fleisch verzichtete; darüber habe ich mich insbesondere als Jugendlicher sehr geärgert: Dabei hatte Ostern für mich - obwohl ich noch kein wiedergeborener Christ war - eine sehr hohe Bedeutung. Was mich nervte, war im Grunde nicht der Verzicht auf Fleisch am Karfreitag, sondern die Tatsache, dass meine Eltern pro forma ein Kirchengebot einhielten, weil sie es so gewohnt waren und nicht, weil sie wirklich bibelgläubig gewesen sind. Was nützt es denn, an hohen Feiertagen daran zu denken, dass man Mitglied einer Kirche ist ohne sich für den christlichen Glauben wirklich zu interessieren? Selbst die schönsten und tiefsinnigsten Traditionen haben nur dann einen Sinn, wenn sie mit Leben gefüllt sind und nicht irgendwelche erlernten Gewohnheiten, hinter denen man nicht wirklich steht.
Ebenso unverständlich war und ist mir, wenn sich Nichtchristen darüber beklagen, dass am Karfreitag keine öffentlichen Musikveranstaltungen und Tanzvergnügungen durchgeführt werden dürfen: Man ist tolerant gegenüber den verschiedensten religiösen Gefühlen und Glaubensrichtungen, doch sobald ein christlicher Feiertag begangen wird, hört anscheinend jede Toleranz und jedes Verständnis auf. Dabei gibt es weit über dreihundert Tage im Jahr, an denen öffentlich gefeiert werden darf: Kirmes, Wein- und Schützenfeste machen sich ohnehin das ganze Jahr hindurch gegenseitig kräftige Konkurrenz, und die fünfte Jahreszeit, der Karneval, wird in den Hochburgen oft genug bis zum Exzess begangen. Große Volksfeste wie das Oktoberfest, der Hamburger Dom oder der Cannstatter Wasen - letzteres findet sowohl im Frühjahr als auch im Frühherbst eines jeden Jahres statt - geben so viel Gelegenheit zur Ausgelassenheit, dass ein Tag wie der Karfreitag im Grunde selbst für Ungläubige die Gelegenheit bietet, einmal besinnlich sein zu können.
Übertrieben finde ich auch, dass Ostern mehr und mehr kommerzialisiert wird: Es geht längst nicht mehr um ein paar Schokoladenhäschen, die man Kindern schenkt oder um ein paar bunte Ostereier, die man mit den Kleinen bemalt und sie dann vor ihnen versteckt, damit sie ihren Spaß haben; dieser sei ihnen ja auch gegönnt. Doch ist es wirklich nötig, wenn zu Ostern den Menschen nichts anderes einfällt als ihre Fenster und Vorgärten mit bunten Plastikeiern zu behängen? Wenn man Ramsch und Kitsch in die Gärten stellt als ginge es zu Ostern wirklich allein um den Osterhasen, den man den Kindern vorgaukelt? Geht es wirklich nur um ein paar freie Tage, die man für einen Kurzurlaub, für Frühjahrsputz oder einen Städtetrip nutzt? Wer weiß denn noch, um was es Ostern wirklich geht?
Am Gründonnerstag erinnern wir uns an das Letzte Abendmahl, das Jesus in Seinem Erdenwirken mit Seinen Jüngern feierte, wohlwissend, dass Er sterben muss, um uns zu retten. Der Verräter sass an Seinem Tisch und tunkte mit Ihm das Brot ein. Und doch nannte Er, Jesus, Judas, den Verräter, noch im Garten Gethsemane Seinen Freund, wohlwissend, dass Judas derjenige war, der Ihn den Qualen und dem schrecklichen Tod am Kreuz für ein paar Silberlinge preisgab. Die Nacht von Gründonnerstag zu Karfreitag ist die Nacht der schrecklichen Todesangst, die Jesus für uns durchlitt, Sein Gebetskampf im Garten Gethsemane, wo Er in Seiner Todesangst im wahrsten und buchstäblichsten Sinne Blut und Wasser schwitzte. Der Kelch ging nicht an Ihm vorüber: Er fügte sich in den Willen des Vaters, obwohl Er sich Legionen von Engeln herbei befehlen hätte können.
Er, der öffentlich in den Synagogen, in den Städten und auf den Strassen lehrte, wurde festgenommen wie ein gemeiner Verbrecher und unschuldig verurteilt, weil Pontius Pilatus, der so mächtige Statthalter, sich feige dem Mob beugte und es zuließ, dass Jesus verspottet, bespuckt, gequält, geschlagen und ausgepeitscht wurde. Eine mehrschwänzige Peitsche, mit Knochen bespickt, verletzte Jesus Körper schwer, die Dornenkrone zermatterte Seinen Kopf. So geschwächt trug Er noch das Kreuz, unter dem Er mehrfach fiel. Verspottet vom Mob, dass den Verbrecher Barnabas die Freiheit zugestand, ging Jesus für uns den Weg nach Golgatha. Seiner Kleider beraubt wurde Er ans Kreuz genagelt, und Pontius Pilatus ließ zynisch ein Schild am Kreuz anbringen: INRI - Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – zu deutsch: Jesus von Nazereth, König der Juden!
Die Feinde Jesu - insbesondere unter den Schriftgelehrten und Pharisäern - forderten Jesus auf, vom Kreuz zu steigen, wenn Er doch wirklich der Sohn Gottes wäre. Das Volk lästerte: "Anderen konnte Er helfen, aber nicht sich selbst!" - Welche Ignoranz gegenüber dem, der niemals gelogen hat und niemals lügt, der Wunder vor ihren Augen wirkte und selbst Tote auferweckte! Nur der Häscher, der zur Rechten Jesu hing, begriff: "Ich bin schuldig, ich brauche Seine Vergebung!" und bat Ihn demütig, dass Er, Jesus, an ihn, den Verbrecher, in Seinem Reiche gedenkt. Jesus sagt zu ihm: "Wahrlich, ich sage dir: Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein!"
Verstehen wir, um was es geht? Jesu Passion, Jesu qualvolles Leiden und sterben war und ist erforderlich, um uns zu retten, weil Er durch Sein unschuldiges Blut für uns das Lösegeld gezahlt hat. Unsere Sünden haben Ihn ans Kreuz gebracht, unsere Schuld machte Seinen Tod so schwer und so bitter. Weil Er die Strafe, die wir verdient haben, auf sich nahm, können wir leben, vorausgesetzt, wir nehmen dieses Gnadengeschenk an.
In Jesus zeigt sich, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass wir nicht auf ewig tot und verloren zu sein brauchen. Jesus ist von den Toten auferstanden und hat den Tod überwunden. Der Teufel musste den Schlüssel zur Hölle an Jesus übergeben: Damit proklamiert Jesus Seinen triumphalen Sieg über Tod und Teufel, und Satan selbst gesteht seine bedingungslose Niederlage ein. Dadurch müssen wir uns nicht mehr davor fürchten, dass Satan uns zu überwinden und zu binden vermag: Jesus macht jeden frei, der zu Ihm mit ehrlichem und reuigem Herzen kommt.
Seine Auferstehung ist eine historische Tatsache: Frauen haben das als Erste bezeugt. Weil Frauen damals als unglaubwürdig galten, weil römische Wachsoldaten vor Jesu Grab wachten und normalerweise mit dem Tode bestraft worden wären, weil sie ohnmächtig waren und geschlafen haben, ist es erwiesen, dass Jesu Grab leer ist, nicht, weil man, wie das Gerücht, das man verbreitete, Seinen Leichnam gestohlen hätte, sondern weil Jesus wirklich von den Toten auferstanden ist. Keiner der einfachen Jünger Jesu hätte die Soldaten überwinden können, und Frauen, die man als unglaubwürdig hielt, als erste Zeugen zu benennen, beweisen die Authenzitität der Evangelien.
In der Osterliturgie der Ostkirche heißt es: "Christ ist erstanden!" - "Ja, Er ist wahrhaft auferstanden!" Es ist für uns geschehen, damit wir das Leben durch Ihn haben. Jesus sei gepriesen ob Seiner Passion, Seines Leidens und Seiner Auferstehung! Ja, Herr: Du bist wahrhaft auferstanden!
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