In der jüdischen Tradition war es üblich, dass, wenn ein Mann verheiratet war und die Ehe kinderlos blieb, der Bruder, also der Schwager der Frau, diese heiratete, um für den verstorbenen Bruder Nachwuchs zu zeugen, damit dessen Name, dessen Same nicht ausstarb. Es ging aber auch darum, die Frauen zu versorgen, denn nur wenn sie einen Mann hatte oder einen Sohn, war sie im Alter abgesichert. Es gab ja keine Sozialgesetzgebung, und auch eine private Altersversorgung war damals nicht möglich. Es ging aber auch um den Erhalt des Namens, der Familie, des Erbes und letztendlich auch um die Erhalt des eigenen Volkes.
Weil Kinder zugleich auch Zukunft sind und die Geschenke Gottes an uns, sieht man in diesem Gebot Gottes vor allem ein lebensbejahendes, auf die Zukunft gerichtetes Prinzip, und weil durch Söhne die Frauen, aber auch diejenigen Männer, die aus Altersgründen nicht mehr arbeiten konnten, versorgt wurden, war es zugleich ein soziales Prinzip, in dem man Verantwortung für die Seinen nahm, etwas, was in unseren Familien leider mehr und mehr verloren geht. Doch auch damals hielt sich nicht jeder daran. Onan weigerte sich, Nachwuchs für seinen Bruder zu sorgen. Lieber ließ er seinen Samen in den Schmutz, auf die Erde fallen. Damit zeigt er ein lebensverneinendes Prinzip, eine Art Kultur des Todes.
Eine solche Kultur des Todes haben wir auch heute: Kinder werden im Mutterleib abgetrieben, und ich habe gelesen, dass es in Deutschland 200.000 Kinder pro Jahr sind, die nicht das Licht der Welt erblicken, weil man sie abtreibt, also tötet. Es gibt sogar Zahlen, die von 300.000 Kindern jährlich allein in Deutschland ausgehen; die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Das ist nicht nur traurig und beklemmend, sondern hat auch weitreichende Folgen: Der demografische Wandel führt uns in eine Katastrophe, weil die Sozialkassen, insbesondere Renten- und Pflegeversicherung, darunter leiden. Das ist auch der Grund, warum man darüber nachdenkt, ob man nicht den "Tod auf Wunsch" als "selbstbestimmtes, humanes Sterben" einführen soll. Es gehört nicht sehr viel Fantasie dazu, um darin ein Szenario des Schreckens und des Horrors zu erkennen.
Während Onan sich seiner Pflicht entzog, wollte Tamar die Gebote Gottes einhalten. Dabei stieß sie auf erhebliche Schwierigkeiten. Das ist auch heute noch so: Wer nach den Geboten Gottes leben möchte, wird schnell verlacht und muss Rückgrat beweisen, weil es einen starken Gruppendruck gibt, in dem versucht wird, Christen zu weltlichen Freuden zu verleiten. Es geht hierbei um "Fun", um "Party". Immer wieder versuchen unsere Mitmenschen uns zu dem zu verleiten, was in Gottes Augen nicht in Ordnung ist. Den Menschen ist dabei oft nicht bewusst, was sie damit tun und bewirken, dass sie leichtfertig mit dem eigenen Heil und der Ewigkeit sehr leichtfertig umgehen. So wie Tamar brauchen wir Stärke und einen tiefen Glauben, ein großes Vertrauen in Gott, um hier stand zu halten.
Tamar bemerkte, dass ihr der Sohn Schela durch Juda verweigert wurde, nachdem dieser erwachsen worden war. Aber Tamar wusste sich zu helfen; sie nahm mit Fantasie und Kreativität ihren Schwiegervater in die Pflicht, in dem sie ihn durch einen Trick dazu brachte, sie zu schwängern. Damit sorgte sie dafür, dass ihr erster Mann, der verstorben war, nach den damals geltendem Recht Nachwuchs bekam. Selbst hat sie sich dadurch in Todesgefahr gebracht: Das zeigt ihren Mut.
Ich selbst muss zugeben, dass ich diesen Mut nicht aufbringe und auch nicht die Kreativität, um Gottes Willen so zu erfüllen, wie es mir geboten wäre. Es zeigt sich dadurch, dass die Gebote Gottes in unser Leben, dass die biblischen Berichte in unsere Gegenwart hineinsprechen. Es sind also keine Aussagen für längst vergangene Zeiten, sondern stets eine Lehre für alle Menschen zu allen Zeiten.
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