Das erste Kapitel des ersten Buches der Chronik enthält eine lange Geschlechterliste, angefangen bei David und endend beim Fürst von Magdiel und dem Fürsten von Iram, den Fürsten von Edom. Es wäre sehr schwierig, all die Namen auswendig zu lernen, und Mancher fragt sich, warum eine solch lange Liste aufgeführt wird. Menschen, deren Passion die Ahnenforschung ist, tun sich da leichter: Sie suchen ja selbst in Archiven und Taufregistern nach Dokumenten, um die Familiengeschichte möglichst genau zu rekonstruieren und scheuen dabei keine Mühen. Oft ist ein großer Schriftverkehr zu leisten, um an die notwendigen Informationen zu kommen, und manchmal braucht man auch Übersetzer, weil es Verwandte gibt, die ausgewandert sind oder aus dem Ausland emigriert. Vielleicht spielen auch Kriegsgefangenschaften eine Rolle. Doch warum die Mühe? Was sagen mir die Namen von Menschen, die ich persönlich nie kennen gelernt habe? Macht eine solche Liste Sinn?
Ja, denn Gott tut nie etwas, das sinnlos wäre. Es ging und geht Gott unter Anderem darum, dass man die eigenen Familienverhältnisse kennt, aus denen sich Rechte und Pflichten ergeben. Wer weiß, wohin er gehört, der weiß auch, wohin er gehen kann, wenn er Hilfe braucht. Eine gesunde Familie ist ja immer auch zugleich ein Zufluchtsort. In einer Familie lernt man laufen und sprechen, man erfährt in seiner Erziehung, was richtig ist und was falsch, man lernt gut und böse zu unterscheiden. Die Vorfahren geben die eigenen Familientraditionen, aber auch die Traditionen der Heimat, in der man lebt, weiter.
Doch es geht nicht nur um Geborgenheit, es geht nicht nur um das Lernen wichtiger Dinge, die wir brauchen, um uns in der Gesellschaft zurecht zu finden, sondern es geht auch darum, dass man seine Wurzeln kennt: Wer weiß, woher er kommt, gewinnt an Sicherheit. Wir brauchen im übertragenen Sinne Wurzeln wie ein Baum, um fest stehen zu können. Diese Wurzeln werden in unseren Vorfahren begründet. Ihre Entscheidungen haben ja auch Auswirkungen auf unser Leben. Hätten sich meine Eltern zum Beispiel entschieden, in Bayern oder in Nordrhein-Westfalen zu leben, dann hätte ich andere Menschen kennen gelernt und andere Prägungen erhalten.
Für mich als Kind war es zudem sehr schön, von meiner Oma mütterlicherseits aus ihrem Leben erzählt zu bekommen, denn sie hatte noch das Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Naziregime, die Nachkriegszeit und die Zeit des Wirtschaftswunders erlebt: Das begründete im Wesentlichen mein Interesse für Geschichte im Allgemeinen. Ich empfand auch bereichernd zu erfahren, dass sie - meine Oma - ursprünglich aus Niedersachsen kam und auch in Hamburg gelebt hatte, bevor es sie und ihren Mann, meinen Opa also, nach Gütersloh verschlagen hatte. So haben diese Orte einen besonderen Reiz für mich und waren manchmal Türöffner für manch interessantes Gespräch mit Touristen.
Aber es geht um mehr: Wer seine Wurzeln nicht kennt, der tappt irgendwie im Dunkeln. Insbesondere in der Nachkriegszeit, in der viele Kinder ihre Eltern verloren haben, hat sich gezeigt, wie traumatisierend es ist, nicht zu wissen, woher man kommt. Ein wesentlicher Teil der eigenen Identität bleibt dadurch verborgen. Für Viele war diese Erfahrung verheerend. Schließlich lernt man ja von seinen Eltern auch, wie man eine gute Mutter, ein guter Vater wird. Für ein Mädchen ist es wichtig, von der Mutter zu lernen, was mit dem eigenen Körper geschieht, und für einen Jungen ist es wichtig, dass der Vater ihm zeigt, wie man sich rasiert. - Das mögen oberflächlich gesehen flache Beispiele sein, doch Eltern haben einen wesentlichen Anteil daran, ob man mit seiner Geschlechteridentität klar kommt, ob man also gern ein Mädchen oder ein Junge, eine Frau oder ein Mann ist.
Aus meiner eigenen Familiengeschichte habe ich manches erfahren, was mir geholfen hat, Dinge richtig einzuordnen. Ich habe dadurch gelernt, meine Eltern besser zu verstehen, was mir natürlich auch Einsichten über mich selbst erlaubt hat.
Das obige Geschlechtsregister ist ja auch im Gesamtzusammenhang mit der Bibel als Ganzes zu sehen: Es wird uns von den Personen, die aufgeführt werden, im Wesentlichen berichtet; wir erfahren also, was sie getan und unterlassen haben und erhalten so ein genaues Bild vom Verlauf der Menschheitsgeschichte und dem Charakter der Menschen als solche. Gleichzeitig erfahren wir, dass wir dem Gott der Bibel nicht gleichgültig sind, dass Er in unser Leben eingreift, dass Er uns segnen und behüten möchte. Es zeigt uns anhand von Abraham und vielen anderen Glaubensvätern, wie es ist, mit Gott zu wandeln, aber auch an den gottlosen Menschen wie Kain, wie viel Segen man sich entzieht, wenn man gegen Gottes hervorragende Gebote verstößt. Vor allem zeigt dieses Geschlechtsregister, dass wir von Gott nicht vergessen sind, dass Er uns liebt und sich für uns interessiert. Für Gott sind wir keine Unbekannten, für Ihn sind wir keine Nummer und kein Verwaltungsvorgang, für Ihn sind wir keine Akte, die irgendwo vergessen in den Archiven schlummert, vergilbt und verstaubt. Es ist gut zu wissen, dass Gott ein reges Interesse an jeden Einzelnen von uns hat. Weil Gott sich für mich interessiert, darf ich mich zu Ihm wenden in all meiner Not, und ich darf Ihm danken für alle Freuden und Segnungen, die Er mir schenkt. Das zeigt mir das Geschlechtsregister wieder einmal mehr.
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