Das zweite Kapitel der Klagelieder Jeremias zeigt deutlich, was geschieht, wenn ein Volk dem lebendigen Gott nicht mehr gedenkt, wenn es ohne Gott auskommen will. Gott drängt sich nicht auf, Gott zieht sich zurück, wenn Er nicht erwünscht ist. Doch dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir ins Wolkendunkel gehüllt sind, wenn wir im Nebel und in der Finsternis unserer eigenen Schuld die Wahrheit nicht mehr sehen. Genau wie ein Schiff, dessen Navigationssysteme ausgefallen sind und sich deshalb nicht mehr steuern lässt und daher den Hafen nicht erreicht, gehen wir ohne das Licht Gottes in die Irre und werden verloren. Und wenn wir Gott durch die Übertretung Seiner Gebote beleidigen und Schmerz bereiten, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn Er uns straft. Welches Recht haben wir denn auch, Gott anzuklagen, wenn Er uns für unsere Vergehen bestraft? Wer falsch parkt, der darf sich auch nicht beschweren, wenn er ein Knöllchen bekommt.
Anders ausgedrückt: Wir finden es richtig, wenn Kriminelle bestraft werden. Wir zeigen doch auch den Einbruch in unserer Wohnung an. Liefert uns eine Firma schlechte Ware, dann fordern wir Ersatz. In der Wirtschaft sind für verspätete Lieferungen oder für nicht eingehaltene Vertragspunkte Konventionalstrafen durchaus üblich. An die Bestimmungen müssen wir uns halten. Ansonsten haben wir die Konsequenzen zu tragen. Warum beklagen wir uns, wenn Gott uns die Konsequenzen der Gottlosigkeit tragen lässt?
Doch wir müssen nicht resigniert sein, wir können trotz unserer Schuld zu Gott rufen, wir dürfen zu Ihm sogar schreien und Ihn um Vergebung bitten. Oft - auch schon während seiner Wüstenwanderung - hat das israelitische Volk zu Gott gerufen und geschrieen, um Vergebung für seine Sünden zu erlangen. In Seinem Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner hat Jesus uns gezeigt, dass der Zöllner, der seine Schuld eingestand, gerechtfertigt war, nicht dagegen der Pharisäer, der stolz war und vor Eigenlob nur so strotzte. Es waren ja letztendlich die Sünder und nicht die - scheinbar - Gerechten und auch nicht die ehrenwerten Leute, zu denen Jesus ging. Und es gab viele Sünder, die sich nicht scheuten, zu Jesus zu gehen, um Ihn zu bitten, dass Er ihnen ihre Sünden vergibt. Selbst der Häscher am Kreuz wandte sich noch an Jesus und bat Ihn, seiner im Paradiese zu gedenken.
Wir müssen dabei nicht warten, bis dass die Strafgerichte Gottes im vollen Gange sind. Wir können uns direkt an Gott wenden, wenn wir schuldig geworden sind und Ihn um Vergebung bitten. Wenn unser Herz nach Ihm schreit, dann sieht und hört Er es und schenkt uns Erbarmen. Dabei dürfen wir uns sicher sein, dass Er nicht unsere Vernichtung, sondern unsere Rettung ist. Genau wie Eltern ihr Kind, das sie lieben, die Konsequenzen seines Handelns spüren lassen, so will Gott mit Seinen Strafgerichten uns zur Ordnung rufen und uns zeigen, dass wir falsch gehandelt haben.
Das ist so wie das Ziel des Strafvollzugs: Ein Verurteilter soll resozialisiert werden, er soll das Schlimme seiner Tat einsehen und - soweit er dazu in der Lage ist - Wiedergutmachung leisten. Sein Verhalten soll sich in der Zukunft bessern. So hat es auch Gott mit uns vor: Seine Strafgerichte sollen uns läutern, sollen uns zur Vernunft bringen.
Dabei geht Gott streng vor, aber Strenge ist nicht mit Lieblosigkeit gleichzusetzen. Von strengen Lehrern habe ich das Meiste gelernt, auch und vielleicht gerade deshalb, weil sie mir am Meisten zutrauten. Mancher Trinker kam zur Vernunft, wenn er von seiner Familie verlassen wurde, mancher Spieler änderte sein Leben, als er förmlich in der Gosse lag. Manchmal brauchen wir "das volle Programm". Das haben wir uns aber stets selbst zuzuschreiben. Wie ein Schüler, der nach einem Jahr das Klassenziel nicht erreicht hat und eine "Ehrenrunde" dreht, so will Gott, dass wir unsere Lektionen lernen. Wer nicht auf Anhieb versteht, muss die Lektion wiederholen, der muss nachsitzen, der braucht deutlichere Beispiele. Mancher Fahranfänger lernt die nötige Einsicht vielleicht nicht mit einem Bußgeld, sondern erst dann, wenn er seinem Vater erklären muss, dass er das Auto geschrottet hat und deshalb ganz gehörigen Ärger zuhause bekommt.
Gottes Stimme warnt uns ja auch erst durch unser Gewissen. Wenn wir nicht hören können, dann erleben wir Seinen Grimm, dann lässt Er es auch zu, dass wir negative Konsequenzen zu spüren haben. Das folgende Beispiel kann dies verdeutlichen: Unser Gewissen sagt uns, dass wir nicht stehlen dürfen. Machen wir in einem Supermarkt lange Finger und werden erwischt, dann ist uns das peinlich. Vor allen Leuten werden wir dann ins Büro des Kaufhausdetektivs geführt und müssen vielleicht mit einem Polizeiwagen mit aufs Revier. Vielleicht bekommen wir auch Hausverbot. Wer dennoch immer weiter stiehlt, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann ins Gefängnis kommt.
So ähnlich geht Gott vor. Er ruft uns zur Umkehr auf und gibt uns Warnschilder und Warnhinweise. Je begriffsstutziger wir sind, umso deutlicher spricht Er zu uns. Wie bei einem Schüler, so liegt es an uns, aufzupassen, was Gott uns sagen will und danach zu handeln, und wie ein Schüler einen Lehrer, so können wir Gott fragen, wenn wir etwas nicht begreifen. Dann müssen wir weder nachsitzen noch die Lektionen wiederholen. Ein fleißiger Schüler, der sich direkt an die Aufgaben macht, hat es leichter als ein fauler, der am Ende mehr Zeit aufwenden muss, um den Stoff zu lernen. Wenn Gott uns straft, dann deshalb, weil Er uns liebt und uns damit zu sich ziehen möchte, damit wir Buße tun und uns zu Ihm bekehren. Gott will auch dann noch unser Bestes, wenn Er uns straft.
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