Mein Vater erzählte mir oft von der Nachkriegszeit, in der die Not zwar groß, aber durch den starken Zusammenhalt erträglich war: Man half sich einander: Das war in der schlechten Zeit auch notwendig, wenn man nicht selbst vergehen wollte. Hunger, Mangel und die zusammengebrochene Infrastruktur, in der nichts mehr funktionierte, was in der Vorkriegszeit selbstverständlich war, zwangen die Menschen zur Brüderlichkeit. Aber oft war diese Brüderlichkeit nicht nur eine Tugend, die aus der Not hervorging, sondern ganz einfach auch selbstverständlich, hatte man doch genug Leid erfahren.
Für uns als Christen sollte diese Brüderlichkeit auch ohne die Erfahrung von Krieg, Todesangst, Not und Elend selbstverständlich sein. Jesus hat schließlich aus Liebe zu uns die Pracht und die Herrlichkeit des Himmels verlassen, um uns zu retten; Seine Allmacht hat Er gegen die Hilflosigkeit eines Säuglings eingetauscht. Er war als König der Könige sich nicht zu schade, den Aposteln die Füße zu waschen. Ist es dann zu viel verlangt, wenn wir einander die Lasten tragen?
Das ist schließlich keine Einbahnstraße: Der Eine braucht vielleicht Hilfe beim Entrümpeln, der Andere dafür vielleicht Hilfe beim Renovieren. Und auch der Besuch einer einsamen alten Dame, die nicht mehr in die Gemeinde kommen kann, ist sehr bereichernd: Mancher gute Haushaltstipp kann dahinter stehen. So besuche ich gerne einige ältere Personen. So lernte ich zum Beispiel selbst von einer Seniorin, dass man seine Wäsche sauberer bekommt, wenn man etwas Backpulver zum Waschmittel hinzufügt oder dass man altmodische Herdplatten auch mit ein wenig Olivenöl reinigen kann. Deshalb bringt es ein Plakat einer großen kirchlichen Hilfsorganisation auf den Punkt, in der eine Greisin abgebildet ist und darunter zu lesen ist: "Expertin für Sonntagsbraten sucht Zuhörer!"
Sicherlich lassen sich diese Beispiele fortführen, und immer wieder werden wir dabei feststellen, dass uns die Hinwendung zur Last des Anderen bereichert. Oft lernen wir, mit dem eigenen Schicksal zufriedener zu sein, weil wir erleben, dass es anderen noch schlechter geht oder uns gezeigt wird, wie man mit Krisensituationen besser umgehen kann. Aus diesem Grunde funktionieren ja auch Selbsthilfegruppen sehr gut: Man gibt einander Stütze und Rat.
So soll es ja auch unter uns Christen sein: Wir können uns gegenseitig stärken, im Glauben unterweisen, die verschiedenen Aspekte einer Bibelstelle beleuchten, eigene Fehler reflektieren und gemeinsam an der Ausbreitung der Frohen Botschaft mitarbeiten, in welcher Form auch immer.
Darüber hinaus haben wir die Chance, die eigenen Fehler, die eigene Schuld zu erkennen und Vergebung zu erfahren. Zugleich können wir Mitgeschwistern helfen, die auf Abwegen geraten sind, wieder zurecht zu kommen. Wir können ihnen sagen, was falsch ist. Das allerdings hat in Sanftmut und in Liebe zu geschehen; es geht ja nicht darum, einen anderen so richtig fertig zu machen, sondern ihm zu helfen, im Glauben zu wachsen. Doch auch wir müssen fähig sein, Kritik anzunehmen, sind wir doch selbst nicht fehlerfrei und sündlos. In der gemeinsamen Unterstützung, Falsches zu erkennen, haben wir die Möglichkeit, gemeinsam zu wachsen, und wir bleiben durch die Erkenntnis der eigenen Begrenzungen auch demütig und werden nicht stolz. Die Selbstprüfung unseres Werkes gehört deshalb mit dazu, damit wir sehen, wo wir noch schwächeln, wo wir noch besser werden können.
Keiner muss sich schämen, seine Mitgeschwister zu bitten, ihm zu helfen, von eigenen Fehlern, von eigenen fatalen Verhaltensmustern loszukommen. Und vielleicht hat man einen Leidensgenossen, der sich mit auf den Weg macht, sich diesbezüglich von Jesus verändern zu lassen. Gemeinsam geht vieles leichter.
Anders ausgedrückt: Jeder hat seine eigene Last, doch wenn wir die Lasten miteinander teilen, sind wir nicht allein. Wie oben schon erwähnt, kann man sich oft gegenseitig von Lasten befreien. Die Last von Einsamkeit löst man am besten durch Gemeinschaft. Und warum sollen wir nicht die Älteren fragen, wie was geht? Das Rad muss man nicht tausendmal erfinden; einmal langt ja. Deshalb wäre es doch eine noch größere Last, auf die Erfahrungen der Älteren zu verzichten. Gleichzeitig geben wir damit der Vorgängergeneration das berechtigte Gefühl, noch gebraucht zu werden und dazu zu gehören. Miteinander ist immer besser als neben- oder gar gegeneinander.
Bei allem dürfen wir nicht vergessen, dass wir durch Brüderlichkeit das Gesetz Christi erfüllen und Gutes säen. Der Mensch erntet schlussendlich, was er sät. Säen wir Kartoffeln, ernten wir keinen Mais. Säen wir das Böse, so haben wir selbst nichts Gutes zu erwarten. Und Gott lässt sich nicht spotten. Schäbige Witze über Ihn werden sich genauso rächen wie der leichtfertige Missbrauch Seines heiligen Namens. Stehen wir einmal vor Seinem Richterstuhl und haben Unvergebenheit, dann werden wir sehr rasch merken, dass es nicht angenehm ist, in die Hände des heiligen Gottes zu fallen. Gott ist allmächtig und majestätisch; das Bild des alten, senilen Mannes ist so falsch wie es zugleich niederschmetternd und fatal für den ist, der ein solches Gottesbild hat. Es wird furchtbar sein für diejenigen, die den Namen Gottes missbrauchen. Wer Gott spottet, zieht Sein Gericht über sich selbst.
Säen wir also nicht auf Fleisch, sondern auf den Geist. Das Fleisch ist schwach und sündig, und es ist zeitlich. Der Geist aber, den Gott uns schenkt, führt uns zu Ewigkeit. Säen wir mit diesem Geist, dann säen wir für die Ewigkeit. Dann sammeln wir Schätze dort, wo unser Herz sein soll, im Himmel. Dann tun wir das Gute mit Begeisterung, weil wir wissen, dass diese Saat Früchte trägt für alle Ewigkeit. Werden wir nicht müde, Gutes zu tun an jedermann, allermeist aber an unseren Glaubensgeschwistern. Man gibt ja auch immer erst den eigenen Kindern, bevor man Fremden gibt.
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