Bei der Bundeswehr hatte ich einen Kameraden, der sehr gefällig war; wenn man sich bei ihm bedankte, dann meinte er selbstironisch: "Ich weiß ja, dass ich viel zu gut für diese Welt bin." Meistens fügte er noch hinzu: "Das stimmt zwar nicht, aber ich hör' es so schrecklich gern." Sicher: Er hat es nicht ganz ernst gemeint, und doch haben wir Menschen die Angewohnheit, uns positiver zu sehen als wir wirklich sind. Was tun wir denn schon groß an Bösen? - Schließlich haben wir ja noch niemanden umgebracht und keinen wirklich großen Schaden angerichtet. Der geklaute Apfel war schließlich nur ein Lausbubenstreich, und wer verrechnet sich denn nicht bei der Steuererklärung ein wenig zu seinen Gunsten?
Demgegenüber blähen wir uns auf, wenn es um unsere Vorzüge, unsere Stärken und unsere guten Taten geht: Wir sprechen gern von unseren Stärken. Im Grunde sind wir so wie dernenige Kellner, der sich auf seine Freundlichkeit etwas einbildet und dabei vergisst, dass es ihm dabei nur um das zu erwartende Trinkgeld geht, womit ich nur ein Beispiel zur Veranschaulichung geben, nicht aber unterstellen möchte, dass Kellner im Allgemeinen nur deswegen freundlich sind. Es geht darum, dass wir bei unseren guten Taten auch auf unsere Motivation schauen: Schließlich macht es einen qualitativen Unterschied, ob wir jemandem helfen, weil es uns wirklich um praktizierte Nächstenliebe geht oder ob wir hilfsbereit aus Berechnung sind nach dem Motto: "Eine Hand wäscht die andere!" Wenn wir jemanden z. B. beschenken, dann sollen wir das nicht in der Hoffnung tun, wenigstens etwas Gleichwertiges, besser noch etwas Wertvolleres zu bekommen, sondern darum einem Anderen schlicht und ergreifend eine Freude zu machen; ansonsten lässt unsere Motivation zu wünschen übrig.
Gott sieht nicht nur unsere Taten, sondern auch unser Herz an: Er kennt unsere geheimsten Gedanken und Wünsche und weiß daher, warum wir dieses oder jenes tun. Wenn wir dann wie der Pharisäer aus dem Gleichnis vorne an stehen und uns dann um unserer Werksgerechtigkeit rühmen nach dem Motto: "Herr, ich habe mir ja dadurch den Himmel verdient!", dann haben wir vor Gott einen überaus schlechten Eindruck hinterlassen, dann geht es uns ja nur darum, für unsere guten Taten eine Belohnung zu bekommen. Dies wäre keine echte Nächstenliebe. Der Zöllner aus demselben Gleichnis wusste um seine Ungerechtigkeit und bat Gott um Gnade.
Auch Hiob, ein Mann, der wirklich fromm war und Gottes Gebote beachtete, der Armen gab und den Waisen wie ein Vater war, wusste, dass man vor Gott nicht gerecht sein kann. Niemand ist vor Gottes Heiligkeit ganz ohne Tadel. Auch Abraham, ein gehorsamer Diener Gottes, fehlte. Auch David, der Mann nach dem Herzen Gottes, hat einmal schwere Schuld auf sich geladen, und er bat Gott auch um die Vergebung der unbewussten Sünden, derjenigen also, die er gar nicht vorsätzlich, vielleicht sogar aus Unwissenheit begangen hatte.
Mir wurde das einmal bewusst, als ich nach meinen Schwächen gefragt wurde: Hätte ich alle auch nur ansatzweise aufgezählt, wäre dies ganz sicher eine etwas längere Angelegenheit geworden, wobei die Betonung in diesem Zusammenhang ganz bestimmt nicht auf dem Wörtchen "etwas" liegt. Bei der Frage nach meinen Schwächen dachte ich auch an den Satz: "Das Leben ist ja so ungerecht!" Es war eine Empfindung, weil ich spürte, dass mir die Frage aus besagten Gründen doch etwas peinlich wurde. Aber mir wurde dabei auch klar, warum das Leben so ungerecht ist: Weil wir Menschen nun einmal nicht gerecht sind.
Das geht jedem so: Kein Lehrer kann vermeiden, dass bei seiner Notengebung nicht auch Sympathien und Antipathien mitschwingen. Kein Richter vermag ein gänzlich gerechtes Urteil zu fällen. Es gibt keine Eltern, die ihren Kindern ganz gerecht werden, auch wenn sie nur ein einziges haben. Unsere Begrenzungen in diesem Bereich müssen wir uns ehrlichkeitshalber eingestehen. Gott hat uns diese Erkenntnis geschenkt: Das tat und tut Er nicht deshalb, um uns zu kränken oder gar herunter zu putzen, sondern um uns zu zeigen, dass wir Ihn brauchen und uns durch Ihn verändern lassen müssen, wenn wir wirklich ethische Fortschritte machen wollen. Selbsterkenntnis ist auch an dieser Stelle der erste Schritt zur Besserung.
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