Mit diesem Text tue ich mich selbst oft schwer: Seine Familie zu lieben, ist normal, die Menschheit als solche zu lieben und eine Art geschwisterliche Liebe für die eigenen Glaubensgenossen zu pflegen, kann ich nachvollziehen. Aber meine Feinde, die mir so viel Übles angetan haben und antun wollen?
Soll ich wirklich denen wohl tun, die mich hassen, die segnen, welche mich mich verfluchen und für jene bitten, die mir die übelsten Schimpfworte an den Kopf werfen? Und wenn ich die andere Backe hinhalte, dann mache ich mich doch wehrlos!
Nein, es geht hier nicht darum, wehrlos zu sein, es geht nicht darum, auf jegliche noch so berechtigte Notwehr zu verzichten. Wir dürfen und sollen Grenzen setzen und für die christliche Ethik und damit vor allem für Wehrlose einstehen. Wir sollen die Not der Anderen erkennen und sehen. Wir dürfen auch die eigenen Rechte vertreten. In diesem Text geht es darum, den Kreislauf von Rache zu durchbrechen. Rache ist nämlich ein schlechter Ratgeber.
Mehr noch: In südlichen Gefilden wie auf Kreta war die Blutrache noch im späten zwanzigsten Jahrhundert gang und gäbe und brachte sehr viel Leid über die Familien. Oft ging Rache und Gegenrache über Generationen und über Jahrhunderte hinweg, oft wusste man nicht, wann, wo, wie und weshalb der Streit angefangen hat, doch man rächte sich weiter. Eigentlich Unbeteiligte brachten sich weiterhin um. Trauer und Leid finden so kein Ende; es entsteht nur neue Schuld.
Konflikte lassen sich da leichter, besser und effizienter lösen. Martin Luther King, der bekannte nordamerikanische Bürgerrechtler und Baptistenprediger hat dies verstanden: Gewaltlos marschierte er mit seinen Mitstreitern. Er wollte die Abschaffung der Rassendiskriminierung und wusste: "Das geht nur auf dem Weg der Versöhnung."
Was haben wir denn davon, wenn wir nach dem Motto verfahren: "Immer feste drauf!"? Die Erb- und Erzfeindschaft, die über Jahrunderte zwischen Deutschland und Frankreich regelrecht kultiviert wurde, führte zu immer neuen Kriegen mit so vielen Opfern und so viel Zerstörung. Machte das wirklich Sinn? Da fühle ich mich heute wohler, wo ich mit Franzosen friedlich zusammen leben kann.
Es ändert sich auch etwas bei uns, wenn wir für die bitten und beten, die uns feindlich gegenüber stehen; segnen wir jene, die uns fluchen, dann nehmen wir unseren Gegnern und Feinden oft den Wind aus den Segeln. Und wer einem Feind, der in Not geraten ist, Hilfe zuteil werden lässt, handelt weitaus vernünftiger als jemand, der sich darüber freut und vielleicht auch noch eines draufsetzt; ein Feind, der meine Hilfe bekommen hat, wird sich - wenn er nicht völlig vom Hass aufgefressen ist - die Frage stellen, ob sein Hass, seine Feindschaft überhaupt Sinn macht. Dann werden wir vielleicht nicht Freunde, aber oft findet sich dann ein Weg, vernünftig miteinander umzugehen.
Aus persönlicher Erfahrung weiss ich, dass ein solcher Gang möglich ist und Brücken schlägt: Ich hatte "Feindschaft" mit einem Ehepaar, das mir sehr zusetzte; als der Mann schwer verunglückte und im Sterben lag, brachte ich die Frau öfters ins Krankenhaus. Ihr Mann starb bedauerlicherweise, doch zwischen mir und der Frau ist Sympathie entstanden, was allemal besser ist als sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Wenn unser Geben nicht nur Berechnung ist, dann haben wir davon auch einen Vorteil: Weil die Menschen von mir wissen, dass ich jemandem in Not helfe, so ich kann, habe auch ich oft in ganz persönlichen Notsituationen Hilfe erfahren und Trost, und dies oft von Seiten, von denen ich es wirklich nicht erwartet habe.
Vielleicht können uns hier Don Camillo und Peppone ein Beispiel sein: Der Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister "pflegen" ihre Feindschaft, doch wenn es um die Armen der Gemeinde geht, wenn es darum geht, einander zu helfen, dann sind sie dicke Freunde.
Sprich: Es sollte uns immer um die Sache gehen, um das Problem, das gelöst werden muss und nicht darum, sich selbst und Andere fertig zu machen, treu nach der Devise des Kirchenvaters Augustinus: "Die Sünde hasse, die Sünder liebe!"
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