Als Jesus frühmorgens vom Ölberg wiederkam, ging Er in den Tempel: Längst war Er im Volke bekannt, denn jeder wusste, dass Jesus Kranke geheilt, Blinde sehend, Lahme gehend, Stumme sprechend und Taube hörend gemacht hatte. Darüber hinaus war längst bekannt, dass Jesus mit Vollmacht lehrte, also ganz anders als die Pharisäer und Schriftgelehrten. Vor allem war Jesu Leben und Lehre immer im absoluten Einklang. Und so ist es auch heute noch.
Deshalb verabscheute Ihn die religiöse Elite, die um ihre Pfründe fürchtete: Wiederholt versuchten sie, Jesus in die Falle zu locken, um einen Vorwand zu haben, Ihn zu töten; mehrmals hätten sie Ihn beinahe schon gesteinigt. Mit der Ehebrecherin, die ihnen ins Netz gegangen war, wollten sie Jesus versuchen und wiesen Ihn auf das Gesetz des Mose hin, das vorschreibt, Ehebrecherinnen zu steinigen. Dies war eine prekäre Situation: Einerseits suchten die Pharisäer mit aller Gewalt einen Grund, Ihn zu verklagen, andererseits war und ist Jesus gekommen, um die Sünder zu rufen. Für uns "Normalverbraucher" ein geradezu unlösbares Problem. Aber Jesus ging den Pharisäern nicht auf den Leim. Ruhig schrieb Er irgend etwas mit Seinem Finger in den Sand. Als die Pharisäer auf eine Antwort drängten, antwortete Jesus nur: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!"
Bautz - das sass! Die Pharisäer wurden von ihrem eigenen Gewissen überführt. - Vielleicht geht es Ihnen so ähnlich wie mir: Wenn ich diese Geschichte lese, ertappe ich mich dabei, Schadenfreude über die Pharisäer zu empfinden, die sich moralisch als so hochstehend ansahen, dass man ihnen Sidolin zur Pflege ihres Heiligenscheins schenken möchte. Doch dann wird mir bewusst: "O, Markus, du wirfst ja mit einem solchen Denken bereits den Stein, wenn auch nicht auf die Ehebrecherin, so doch auf die Pharisäer!" - Und dann wird mir klar: Beim Werfen mit dem ersten Stein stelle ich mich zwar ganz vorne an, doch wenn ich ehrlich zu mir selber bin, dann lasse ich ihn lieber fallen, auch den Pharisäern gegenüber. Denn ohne Sünde bin ich ganz sicher nicht. Gut, dass die Leute in meiner Umgebung längst nicht alles wissen, was ich so alles verbockt habe! Selbst ein geübter Beichtvater schlackert da mit den Ohren.
Nun denn: Dann lasse auch ich lieber den Stein - überführt vom eigenen Gewissen - fallen und geh nach Hause in mein Kämmerlein. Und dann stehe ich da wie einst der Zöllner mit heruntergeschlagenen Augen und kann Gott nur bitten, mir gnädig zu sein! Wie sehr habe ich doch Seine Gnade nötig!
Wie zu der Ehebrecherin sagt Jesus auch zu mir: "Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr." Toll - ein sehr hoher Anspruch, eine sehr große Aufforderung. Dabei kennt mich Jesus doch! Er weiß: Es dauert nicht besonders lange - um mich einmal ziemlich freundlich zu beschreiben - bis ich dann wiederkomme und wieder einmal um Vergebung bitten muss.
Die Geschichte von der Ehebrecherin macht mir einige Dinge deutlich: Ich habe zwar ganz schön Übung damit, Andere zu verurteilen und mich freizusprechen, doch - oh Schreck! - bin ich schlimmer als die Pharisäer und sollte auch nicht über die Ehebrecherin die Nase rümpfen: Sie hat ihre Buße bestimmt ernster gemeint als ich meine! Also rümpfe ich nicht mehr die Nase über die Sünden anderer.
Das klingt vielleicht spaßig, ironisch, satirisch, aber ist es nicht so, dass wir im Grunde wissen, dass wir ein solches Verhalten haben, aber uns da von Jesus nicht verändern lassen? Ein Bundespräsident hat einmal gesagt: "Wer auf andere mit dem Finger zeigt, der zeigt mit dreien auf sich zurück!" Das stimmt!
Natürlich dürfen wir als Christen gegen die Sünden der Welt kämpfen, das ist sogar unsere moralische Pflicht! Aber wir dürfen dabei niemals vergessen, dass wir selbst Sünder sind, die begnadigt wurden. Der Kampf gegen die Sünden der Welt ist immer der Hinweis auf die verändernde Liebe Jesu, der alle zur Umkehr ruft. Der Kampf gegen die Sünden der Welt ist zugleich und in erster Linie auch immer der Kampf gegen die eigene Sündhaftigkeit und Schuld!
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