Es ist auffällig, dass wir Menschen zwar zugeben, die ein oder andere Schwäche zu haben, und es gibt sogar nicht Wenige, die offen zugeben, dass sie in ihrem Leben sehr viel falsch gemacht zu haben. Selbst unter denen, die im Gefängnis eingesessen haben, gibt es Menschen, die sich da nicht heraus reden und sagen, dass sie ja schließlich selbst schuld gewesen sind, weil sie eine Straftat begangen haben: Manche fügen hinzu, dass sie mit dem Freiheitsentzug von so und so viel Jahren noch gut weg gekommen sind. Ein Gespräch, dass ich einmal zwischen zwei ehemaligen Strafgefangenen zufällig aufschnappte, sagte der Eine: "Wir müssen auch mal an unsere Opfer denken: Diese sind unschuldig in die Sache verstrickt, wir dagegen haben nur die Quittung für unsere Taten bekommen." Der Andere pflichtete bei. Vor diesen beiden Personen ziehe ich persönlich den Hut, weil sie sich nicht heraus geredet haben, sondern zu ihren Taten standen.
Doch vor Gott sind wir weit weniger konsequent und schnell bei unserem eigenen Freispruch: Schließlich fügen wir niemanden bewusst oder gar vorsätzlich Schaden zu, wir versuchen unser Bestes, und die paar Dinge, die wir falsch gemacht haben, reden wir uns schön. So ist der geklaute Apfel nur ein Lausbubenstreich, der Versicherungsbetrug für uns ganz in Ordnung, die kleine Steuertrickserei moralisch vertretbar .... Und wir sind ja auch nicht schlechter als die Anderen!
Aber gerade hier liegt das Problem: Jeder von uns - mich natürlich eingeschlossen! - hat gesündigt. Bei mir selbst sind es mehrere geklaute Äpfel aus meiner Lausbubenzeit, in der Schule habe ich auch gespickt, und natürlich habe ich mich immer selbst sehr gut in Schutz nehmen können, wenn ich Mist gebaut habe, während ich Anderen gegenüber weitaus weniger nachsichtig war. Der beste Bruder bin ich auch heute bei weitem nicht. Auf gut deutsch: Paulus hätte diese Passage nicht besser formulieren können, wenn er den Brief an mich statt an die Römer geschrieben hätte! - Deshalb kann jeder Leser dieses Artikels sicher sein, dass ich ihn nicht als die moralisch hochstehende Person, die ich gern wäre, schreibe, sondern als Sünder zu anderen Sündern, und ginge es um den ersten Stein, den der werfen soll, der frei von Sünde ist, dann könnte ich mich nur, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ganz schön weit hinten anstellen und würde feststellen, dass zwar ungeheuer Viele vor mir sind aber nicht Einer hinter mir.
Wir alle haben eines gemeinsam: Vor Gott sind wir schuldig, und Er kann auch die kleinste Sünde nicht durchlassen, denn dafür ist Er viel zu heilig. Vor allem stehen wir eines Tages ganz alleine vor dem Richterstuhl Gottes, und es geht nicht um die Schuld der Anderen, sondern um unsere eigene. Wenn wir vor einem irdischen Gericht wegen Diebstahls stehen, dann kommt es auch nicht darauf an, dass es schlimmere Diebe als wir gibt und schwerere Verbrechen als das unsere: Wir stehen mit unserem Delikt vor dem Kadi und nicht mit dem eines Anderen. In Hiob 4,17 sagte Elias in seiner ersten Rede ganz richtig: "Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat?"
Das ist natürlich für uns eine niederschlagende Erkenntnis, insbesondere dann, wenn wir sozial engagiert sind und Vieles für das Gemeinwohl tun. Gerade als Gutmenschen hauen wir uns doch selbst gerne auf die Schulter und sind sehr empfänglich für Lob, dem eigenen wie dem der Anderen. Sind wir jedoch wirklich so gut, wenn wir Gutes tun?
Damit soll das Ehrenamt, das Engagement keineswegs klein geredet werden. Wir brauchen mehr Menschen, die Verantwortung übernehmen, die sich in Politik und Gesellschaft, in Kirche und in sozialen Institutionen engagieren. Die Frage allerdings ist, warum wir das tun. Geht es uns wirklich um das Gute an sich oder engagieren wir uns bei der Kleiderkammer, bei den Tafeln, in den Wärmestuben nur, um uns selbst gut zu fühlen? Tun wir das Gute aus Liebe zu Gott und den Menschen oder deshalb, um uns in ein gutes Licht zu setzen? Es macht einen Unterschied, ob wir aus Liebe zu Gott und den Menschen handeln oder unser Helfen im Grunde nur eine Form der Selbstdarstellung ist. Gott sieht bei unserem Handeln vor allem auf unsere Motivation. Es kommt also nicht darauf an, wie viel Gutes wir tun, sondern mit wie viel Liebe wir es tun. Bei dem Helfersyndrom ist es oft so, dass der Helfer den zu Helfendem in die eigene Abhängigkeit bringt, um sich so nützlich vorzukommen. Diese Form der Hilfe ist keine wirkliche Hilfe, sondern dient dem Selbstzweck, der Bestätigung der eigenen Daseinsberechtigung: Gut ist das für keinen der Beteiligten. Wirklich gut sind Taten nur, wenn sie aus Liebe zu Gott und den Menschen geschehen; ansonsten werden wir auch diesbezüglich schuldig.
Wenn wir das erkennen und vor Gott eingestehen, wenn wir Jesus bitten, uns von Sünde und Schuld reinzuwaschen, dann wird am Ende der Glaube uns gerecht machen, weil wir uns dann nicht mehr selbst in den Fokus unseres Handelns setzen, sondern Gott die Mitte und die Ausrichtung unseres Handelns ist. Hudson Taylor z. B. ging nicht nach China, um sich selbst in Szene zu setzen, sondern um Gott die Ehre zu geben. Überall dort, wo wir nicht ausschließlich Gottes Ehre suchen, werden wir schuldig.
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